Dienstag, 13.11.2012
Videobilder, Drohnenaufnahmen, Datenbanken: Im Auftrag der Europäischen Union forschen Universitäten und Firmen seit Jahren mit Hilfe der Polizei an einer Überwachungsplattform. Warum das Indect-Projekt so umstritten ist, lesen Sie in unserer Übersicht.
Hamburg – Die Europäische Union lässt forschen: Können Computer auf den Bildern von Überwachungskameras automatisch Gefahren erkennen? Alarm schlagen, wenn eine Person eine Waffe trägt, oder sich auch nur ständig nervös umsieht? Kann ein Programm dann einen Menschen identifizieren, in dem die Kamerabilder mit Datenbanken abgeglichen werden?
Was in Hollywood-Filmen bereits eindrucksvoll funktioniert, soll endlich Wirklichkeit werden; eine Art Gefechtsstand für den öffentlichen Raum. „Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung von Bürgern in städtischen Räumen“ heißt das Forschungsprojekt, abgekürzt Indect. Deutsche Firmen arbeiten mit, Universitäten mehrerer EU-Länder, die Polizeibehörden von Nordirland und Polen.
Erprobt werden soll eine Plattform, die verschiedene Datenquellen anzapft, um Verdächtige aufzuspüren. Das Internet wird dabei durchsucht, die Bilder von Drohnen ausgewertet. Weil das arg nach Massenüberwachung und Rasterfahndung klingt, wollte der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko genauer wissen, woran da seit 2009 mit mehr als zehn Millionen Euro Fördergeldern gearbeitet wird.
Umfassender Überwachungsgedanke
Fast zwei Jahre, nachdem er einen offenen Brief verfasste, hat Hunko nun Rückmeldung von einem Indect-Mitarbeiter erhalten. Die Antworten aus Warschau bestätigen seine Vorbehalten: „Projekte wie Indect sind geeignet, zur Verunsicherung bei der Nutzung des öffentlichen Raumes beizutragen“, sagt Hunko. Außerdem beklagt er Kommunikationschaos: Die Beteiligten würden vage und widersprüchliche Angaben machen.
Indect ist zwar nur eines von Dutzenden Forschungsprojekten der Europäischen Union zur automatischen Überwachung. Dafür ist die Metasuche um so umstrittener. Das deutsche Bundeskriminalamt distanzierte sich öffentlich „aufgrund des umfassenden Überwachungsgedankens“ von dem Projekt.
Zwischenzeitlich gab es Gerüchte, die Überwachungsplattform werde bei der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine schon getestet, komme womöglich auch bei den Olympischen Spielen in London zum Einsatz. Die Indect-Verantwortlichen erklärten, es würden höchstens Prototypen an Universitäten ausprobiert – nicht der einzige Punkt, der zumindest Fragen aufwirft.
Was wird erforscht, wo wurde die Technik schon getestet, welche Quellen soll Indect auswerten? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
1. Woran wird geforscht?
An einer umfassenden und weitgehend automatischen Überwachungsplattform für öffentliche Räume. Indect soll verschiedene Systeme vernetzen, um – so steht es in der EU-Projektbeschreibung von 2010 (PDF-Datei) – „Sicherheitsinformationen über Bürger in Städten“ zu beschaffen, zu verarbeiten und zu verteilen. Das System soll automatisch Alarm schlagen, wenn irgendwie Verdächtiges entdeckt wird. Als Beispiele werden auf der Indect-Website genannt: Hilfeschreie oder das Zerbrechen von Glas, gefährliche Gegenstände, unbeaufsichtigtes Gepäck und die automatische Suche nach bestimmten Fahrzeugen. EU-Mittel wurden unter anderem für diese Forschungsfelder bewilligt:
- Überwachung unterschiedlicher Menschenansammlungen, Erkennung ungewöhnlichen Verhaltens und von Gefahren.
- Informationsbeschaffung im Web und Überwachung „verdächtiger Aktivitäten“ online.
- Entwicklung und Evaluation von Verfahren zur Identifizierung von Personen (zum Beispiel, um „schuldige“ Personen in bestimmten Gefahrensituationen zu erkennen.
Was die Forscher in den gut drei Jahren (das Projekt läuft seit 2009 bis Ende 2013) konkret erforscht haben, zeigt ein Überblick der bis 2012 durchgeführten Versuche.
2. Welche Quellen soll Indect auswerten?
Mehr als nur bereits installierte Überwachungskameras. Indect besteht aus drei Forschungsbereichen, zwei davon befassen sich mit der intelligenten Überwachung von Gefahren, im öffentlichen Raum sowie im Internet, das dritte mit Datenschutz und Verschlüsselung. Die Indect-Plattform soll auch auf soziale Netzwerke und auf Überwachungsdrohnen zugreifen. Das geht aus verschiedenen Dokumenten hervor.
In einem Indect-Bericht (PDF-Datei) aus dem Jahr 2009 wird dieses Ziel formuliert: Software soll Beziehungsmuster zwischen „Menschen und Organisation“ erkennen, indem sie „Websites und soziale Netzwerke“ analysiert. Die EU-Kommission bestätigt, dass im Rahmen von Indect solche Analyse-Software entwickelt wird. Das Ziel sei es, „Verbrechen zu verhindern und zu ermitteln“. Von Drohnen ist in einer offiziellen Antwort von Indect an den deutschen Abgeordneten Hunko die Rede. Es habe in einem abgeschirmten Bereich des Flughafens Pozna-Kobylnica Versuche mit unbemannten Flugobjekten gegeben.
3. Wo wurde die Technologie bislang getestet?
Laut Indect nur an Universitäten und von der Öffentlichkeit abgeschirmten Orten. So ganz stimmt das allerdings nicht, wenn man sich den Indect-Bericht über bislang durchgeführten Versuche ansieht. Die Indect-Forscher haben demnach
- auf den Aufnahmen von Verkehrsüberwachungskameras in Warschau mit speziellen Programmen unerlaubte Spurwechsel automatisch erkannt,
- an einem Gate des Flughafens Poznan-Lawica unbeaufsichtigte Gepäckstücke per Software auf den Überwachungsaufnahmen ausgemacht,
- Software in einem Studio den Klang von Explosionen, Schreien und splitterndem Glas erkennen und die Quelle orten lassen, zum Teil gestört von Verkehrs- oder Partygeräuschen im Hintergrund,
- Software Objekte in den Überwachungsaufnahmen eines Universitäts-Parkplatzes in Gdansk erkennen lassen. Das Programm sortierte das Beobachtete in drei Kategorien: Menschen, Fahrzeuge und alle anderen Objekte. Außerdem erkannte die Software, welche Fahrzeuge auf das Gelände gefahren sind und welche es wieder verlassen haben.
Dass Indect-Systeme während der Fußball-Europameisterschaft getestet wurden, dementieren die EU-Kommission und die Indect-Verantwortlichen eindeutig. Ebenso sei die Technik nicht bei den Olympischen Spielen in London zum Einsatz gekommen, heißt es auf der Projektwebsite. Indect bestreitet auch, dass im Rahmen der Forschung auf Polizeidatenbanken zugegriffen wird.
4. Woher kommt das Geld?
Von der EU, aus dem siebten Forschungsrahmenprogramm. Zwischen 2007 und 2013 investiert die EU 1,4 Milliarden Euro für Sicherheitsforschung, davon sind knapp elf Millionen Euro für Indect vorgesehen. Insgesamt werden 78 Vorhaben gefördert, viele haben mit Überwachungstechnik zu tun, Indect ist nur eines von vielen Projekten.
- Im Rahmen von ADABTS (3,2 Millionen Euro von der EU) haben Forscher Software zur Erkennung „abnormalen“ und „bedrohlichen“ Verhaltens in Videoaufzeichnungen entwickelt. Beteiligt war unter anderem der Rüstungskonzern BAE Systems.
- Das Forschungsprojekt Samurai (2,4 Millionen Euro Förderung) soll ähnliche Software zu Auswertung bestehender Überwachungssysteme bringen. Partner hierbei ist unter anderem der Flughafen-Betreiber BAA.
- Beim Lotus-Projekt erhielten Wissenschaftler des schwedischen Forschungsinstituts für Verteidigung 3,1 Millionen Euro EU-Förderung) für die Entwicklung eines mobilen Überwachungssystems, das Drogenlabore und Bombenbauer gewissermaßen erschnüffeln soll – anhand der austretenden Chemikalien.
5. Wie definiert Indect „abnormes“ Verhalten?
Den Projektverantwortlichen ist wohl klar, dass dies ein strittiger Punkt ist. Sie weisen darauf hin, dass die Definition dazu nicht von Indect selbst stammt, sondern von der Europäischen Kommission. Im konkreten Fall wird als „abnormes“ Verhalten kriminelles Verhalten definiert. Die Indect-Verantwortlichen zählen diese Beispiele auf: terroristische Aktivitäten und schwere Kriminalität wie Mord, Bankraub, das Zurücklassen von Gepäck sowie Kinderpornografie im Internet.
Indect schreibt sich bei der Massenüberwachung den Datenschutz auf die Fahnen. So sollen Menschen nur die Aufnahmen zu sehen bekommen, auf denen automatisch verdächtige Aktivitäten festgestellt wurden. Diese Aufnahmen sollen außerdem mit digitalen Wasserzeichen versehen werden, so dass ein Datenleck schnell aufgespürt werden kann.
Das Problem an dieser Argumentation: Je nachdem, wie das „abnormale“ Verhalten nun definiert ist, können trotzdem Unschuldige plötzlich verdächtig werden. Diese Kritik wird nicht nur von Bürgerrechtsaktivisten und Oppositionspolitikern hervorgebracht: Das deutsche Bundeskriminalamt hat sich beispielsweise von der Überwachungsplattform ausdrücklich distanziert.