Mit solchen Reformen geht der soziale Zusammenhalt verloren“
Ab Montag machen Tiroler Dachverbände mit der Veranstaltung „Retten wir die Notstandshilfe“ gegen die geplante Reform des Arbeitslosengeldes mobil. Gastredner und Hartz-IV-Experte Wilhelm Adamy warnt Österreich vor Fehlern.
Innsbruck – In Deutschland gibt es Hartz IV seit nunmehr 15 Jahren. Warum diese Reform falsch war und Österreich nicht ähnliche Fehler wiederholen sollte, erklärt Wilhelm Adamy im folgenden Telefoninterview:
Sie warnen Österreich davor, in eine Art Hartz-IV-Politik zu kippen. Warum?
Wilhelm Adamy: Ich sehe die Gefahr, dass Österreich dieselben Fehler macht, wie sie in Deutschland vor 15 Jahren gemacht worden sind. Mit Hartz IV wurde in Deutschland die mit der österreichischen Notstandshilfe vergleichbare Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Auf den ersten Blick waren die arbeitsmarktpolitischen Erfolge von Hartz IV beachtlich, die Beschäftigungszahlen stiegen. Mittlerweile streiten Ökonomen aber darüber, ob das nicht doch die Effekte einer besseren Lohn-, Geld- oder Investitionspolitik waren. In jedem Fall ist klar, dass die Kollateralschäden der Hartz-IV-Reform heftig waren. Jetzt versucht man politisch das Ganze zu reparieren.
Welche Kollateralschäden meinen Sie?
Adamy: Etwa, dass Arbeitnehmer, die lange ins System Beiträge einbezahlt haben, bereits nach relativ kurzem Bezug von Arbeitslosengeld plötzlich in staatlicher Fürsorge als Hartz-IV-Empfänger aufgewacht sind. Getroffen hat es vor allem die Mittelschicht langjährig Erwerbstätiger. Man hat die Arbeitslosenhilfe durch Sozialhilfe ersetzt. Das ist ein komplett anderer Zugang, wenn es keinerlei Orientierung am vorherigen Arbeitslohn mehr gibt. Der Weg vom Beschäftigten zum bzw. zur SozialhilfeempfängerIn hat sich deutlich verkürzt. Nicht zuletzt ist das Armutsrisiko in Deutschland mittlerweile größer als in allen EU-Ländern. Dazu ist es durch Hartz IV schwerer geworden, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zurückzubringen. Ihre Lage hat sich sogar verhärtet. Man dachte, wenn man mehr Druck erzeuge, würden diese eher Arbeit finden. Man hat aber übersehen, dass es bei vielen nicht an mangelndem Willen liegt, sondern viele aus gesundheitlichen und sozialen Gründen nicht voll arbeiten können. Dazu kommt, dass ungünstige, unsichere Beschäftigungsverhältnisse zugenommen haben. Jeder dritte Leiharbeiter, der seinen Job verliert, landet direkt in Hartz IV. Diese Leute kommen aus dem Hamsterrad prekärer Beschäftigung kaum heraus.
Was fänden Sie besser?
Adamy: Eine bürgerfreundliche und ökonomisch durchdachte Struktur, die mehr auf soziale Stabilisierung, individuelle Beratung und nachhaltige Vermittlung sowie Qualifizierung setzt, und weniger auf Sanktionen und eine Vermittlung in nicht existenzsichernde Jobs. Damit verschärft man eine soziale Destabilisierung der Gesellschaft. Viele übersehen, dass man schnell unverschuldet, etwa durch Krankheit, in Arbeitslosigkeit rutschen kann.
Mindestsicherung oder Notstand?
Innsbruck, Wien – Die Koalition hat sich diese Woche auf ein bundeseinheitliches Modell der Mindestsicherung geeinigt. So richtig brisant wird die Reform in Kombination mit einem weiteren Projekt: Wenn – wie zuletzt geplant – die Notstandshilfe abgeschafft wird, bleibt vielen Arbeitslosen als letztes soziales Netz nur die Mindestsicherung. Bezieher müssen hier Erspartes (bis auf 4000 Euro) aufbrauchen, auch ein Eigenheim wird angegriffen. Künftig wird nicht nur auf das Vermögen des Beziehers der Mindestsicherung, sondern auch auf das Einkommen vom im gleichen Haushalt lebenden Angehörigen zugegriffen, hieß es zuletzt.
Das neue Arbeitslosengeld steht erst nächstes Jahr auf der Agenda. Geht es nach der ÖVP, ist der Plan, dass Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zu verschmelzen. Die Bezugsdauer ist offen. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sagte am Samstag, dass die Notstandshilfe auch nach der Reform des Arbeitslosengelds eine Versicherungsleistung bleiben und damit nicht aufs Vermögen zugegriffen wird.