6. April 2021
Wer besitzt eigentlich die Medien in Österreich? Wem gehören Grund und Boden? Wer sind die großen Player in der Landwirtschaft in Österreich? Kontrast versucht in der Reihe „Wem gehört Österreich?“ diese Fragen zu klären. Dabei kommt man um einen mächtigen Player nicht herum: die Raiffeisenbank.
Nicht nur im Banken- und Finanzgeschäft ist die Raiffeisen eines der größten Unternehmen in Österreich. Der Mega-Konzern mit dem Giebelkreuz macht sein Geschäft auch mit der Landwirtschaft in Österreich, mit Medien und mit Tourismus. Doch es ist nicht immer klar, welche Unternehmen Teil von Raiffeisen sind, denn die Besitzverhältnisse sind oft verschleiert. Kontrast versucht den Raiffeisen-Dschungel zu lichten. Diesmal: Wie die Raiffeisen die Nahrungsmittel-Industrie im Griff hat.
Aus einer kleinen Bauerngenossenschaft wird ein internationaler Konzern
Die Wurzeln des Raiffeisen-Verbandes reichen bis ins Jahr 1848. Es war eine noble Idee, die der deutsche Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen kontinuierlich vorantrieb: Genossenschaften sollten gebildet werden, um das Leid der Bauern zu lindern. Denn die waren oft schwer verschuldet. Sie mussten sich Geld von Wucherern borgen, die bis zu 20 Prozent Zinsen verlangten, um Saatgut und Dünger zu kaufen. Fiel eine Ernte wegen schlechten Wetters oder Ungeziefers mager aus, erdrückte sie der Kredit.
Um das zu verhindern, sollten sich die Bauern zusammenschließen: Man gründete Genossenschaften, bei denen jedes Mitglied für jedes andere haftete. Auch beim Ein- und Verkauf konnten sie gemeinsam bessere Preise erzielen. Die Idee breitete sich von Deutschland nach Österreich aus. 1886 gründeten 94 Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende die erste Sparkasse unter dem Namen „Raiffeisen“. Seitdem wurde das schwarz-gelbe Giebelkreuz (nicht zufällig die Farben der Habsburger-Monarchie) zum festen Bestandteil der Landwirtschaft in Österreich.
Der Raiffeisenverband hat sich über viele Jahrzehnte zum festen Bestandteil der Landwirtschaft in Österreich entwickelt.
Raiffeisen bestimmt über 90 Prozent der Frischmilch in Österreich
Bis heute ist Raiffeisen stark im landwirtschaftlichen Sektor aktiv. Vor allem in der Milchwirtschaft führt kein Weg an dem Giebelkreuz-Unternehmen vorbei. Doch die Vorzeichen haben sich geändert: Aus den kleinen gemeinnützigen Genossenschaften, die teilweise aus nur sieben Bauern bestanden, wurde ein internationaler Konzern mit starken Profitinteressen. So gehören unter anderem die Niederösterreichischen Molkereien (NÖM) und das größte Milchverarbeitungs-Unternehmen Österreichs, „Berglandmilch“, zum Raiffeisenverband. Bekannte Marken wie Schärdinger, Fru-Fru-Joghurt oder Lattella sind somit auch Teil des Konzerns.
Die Stellung der Raiffeisen in der Milchwirtschaft zeigt sich auch an deren Interessensvertretung: Die Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM) hat ihre Adresse am Wilhelm-Friedrich-Raiffeisen-Platz 1. Ihr Geschäftsführer ist Johann Költinger – ein hochrangiger Funktionär des Raiffeisenverbandes. Insgesamt verarbeiten Raiffeisen-Unternehmen rund 90 Prozent der gesamten Frischmilch in Österreich. „Die Unternehmen haben eine Monopolstellung in der Milchwirtschaft. Wenn wir über niedrige Milchpreise reden, reden wir immer nur vom Handel, doch die großen Molkereien tragen auch Verantwortung“, sagt Ewald Grünzweil, Obmann der IG Milch.
„Raiffeisen würde sich im Grab umdrehen!“
Die IG Milch ist eine Plattform von Bauern und Bäuerinnen, die die Zustände in der Milchwirtschaft nicht mehr hinnehmen wollen. Grünzweil ist ihr wortgewaltiger Sprecher, der das System Raiffeisen stark kritisiert:
„Wenn Friedrich Raiffeisen wüsste, was aus seiner Idee geworden ist, würde er sich im Grab umdrehen.“
Das genossenschaftliche Prinzip habe sich gegen die Bauern gewendet. Während es früher noch darum ging, füreinander einzustehen, wenn etwa die Ernten schlecht ausgefallen sind, wird man heute von der Raiffeisen-Genossenschaft bestraft.
„Wenn man nur an einem einzigen Tag im Monat weniger als 50 Prozent der ausgemachten Menge liefert, muss man gleich extrem hohe Strafen an die Molkereien zahlen.“
Die Strafen haben es tatsächlich in sich: Zwischen 30 und 35 Cent liegt der Milchpreis derzeit. Liefert man nur einen Tag zu wenig, bekommt man für die gesamte Menge, die man im jeweiligen Monat geliefert hat, bis zu 10 Cent weniger. Dem Bauern fällt also bei Lieferschwankungen gleich ein Drittel seines Einkommens weg. In anderen Branchen, in denen es keine so hohe Marktkonzentration eines einzelnen Konzerns gibt, wären solche Verträge undenkbar. Keine Spur also von der ursprünglichen Idee der solidarischen Landgemeinschaft.
Wie Raiffeisen gegen faire Milchpreise kämpft
Mit den Strafzahlungen für Lieferschwankungen wird auch die Selbstvermarktung von Milch unterbunden.
„Die Landwirte fangen in der Regel mit der Selbstvermarktung klein an. Sie machen Käse oder verkaufen andere Produkte ab Hof, also direkt als Erzeuger. Anfangs kann man nicht abschätzen, wie gut und wie lange das funktioniert. Mit den Regeln zu den Lieferschwankungen wird das zum Risiko und damit zerstört man den Mut und die Kreativität der Bauern,“ so der Bauernrebell.
Grünzweil und seine KollegInnen starteten auch deshalb 2007 die Initiative „a faire Milch“. Bessere Milchpreise für die Erzeuger und eine Aufrechterhaltung der kleinstrukturierten Landwirtschaft in Österreich war ihr Ziel.
„Aus der Sicht der Molkereien ist der Bauer ein Rohstoff-Lieferant – du sollst arbeiten, du sollst liefern und du sollst das Risiko tragen. Dort, wo die Wertschöpfung anfängt, übernehmen dann sie. Sechs Wochen später erfährst du dann, wie viel Geld du bekommst“, meint Grünzweil.
IG Milch-Obmann Ewald Grünzweil kritisiert das System Raiffeisen in der Milch-Industrie scharf. © IG Milch
Die Molkereien arbeiten mit sogenannten Staffelpreisen: Je mehr geliefert wird, desto besser ist der Milchpreis. „A faire Milch“ kehrte das System um: Kleine Bauern sollten faire Preise bekommen. Wer unter 50.000 Liter lieferte – das ist die Durchschnitts-Produktion der österreichischen Milchbauern – profitierte stärker von der „fairen Milch“ und bekam pro Liter einen etwas besseren Preis. Das Projekt legte einen guten Start hin. Gleich im ersten Jahr wurde es mit dem Marketing-Staatspreis ausgezeichnet. Zuerst verkauften sie 200.000 Liter Milch pro Woche, in Spitzenzeiten durchbrachen sie gar die Millionengrenze. Doch dann begann, laut Grünzweil, die Milchwirtschaft rund um Raiffeisen das Projekt gezielt zu beschädigen. Was folgte, könnte das Drehbuch eines Mafia-Films sein.
Kleine Landwirte wurden eingeschüchtert
Bauern und Bäuerinnen, die eine rot-weiß-rote Kuh, das Markenzeichen der „fairen Milch“, auf ihren Grund aufstellten, berichten von Einschüchterungsversuchen. Vertreter der Molkereien sollen indirekt damit gedroht haben, keine Milch mehr bei diesen Betrieben zu kaufen: „Ich bin mir nicht sicher, ob der Tankwagen da noch ordentlich hinfahren kann, wenn die Kuh da steht“, soll Bauern ausgerichtet worden sein. Die Handelskette SPAR verpflichtete am Anfang noch alle Filialen dazu, die faire Milch zu führen – mit der Zeit wurde das aber immer weiter gelockert und immer weniger Filialen verkauften das Produkt der rebellischen Bauern und Bäuerinnen. Am Ende konnten sie weniger als 10.000 Liter Milch die Woche verkaufen und die Bauern mussten nach 14 Jahren aufgeben.
Rebellische Bauern bekommen schlechtere Milchpreise
Damit war aber noch nicht Schluss. Grünzweil ist der festen Überzeugung: Nun sollte ein Exempel an den Bauern statuiert werden. Einige der LandwirtInnen, die zur Gänze über „a faire Milch“ verkauften, mussten die Molkereien beknien, wieder zurückgenommen zu werden. Sie bekamen dann kürzere Verträge und müssen jedes Jahr auf eine Verlängerung hoffen. Während anderen Bauern mit mündlichen Abmachungen der ab-Hof-Verkauf gestattet wird, wird bei ihnen weiter blockiert. Andere Ex-Rebellen berichten davon, dass sie eigentlich Bio-Milch herstellen, die Molkereien das aber einfach nicht akzeptieren und ihnen den Preis für normale Milch zahlen. Grünzweil fasst es so zusammen:
„Sie wollen dir und allen anderen zeigen: Wenn du die Goschen aufmachst, wirst ruiniert.“
Ex-ÖVP Finanzminister verwaltet Milliarden-Konzern für Raiffeisen
Doch nicht nur Milchbauern sind von der Raiffeisen abhängig. In der Landwirtschaft in Österreich, im gesamten Agrar- und Lebensmittelsektor führt kein Weg an der Raiffeisenbank vorbei. Egal ob man Gemüse verkaufen oder Getreide zu Mehl mahlen will, man landet meistens bei einem Raiffeisen-Unternehmen. Über die Leipnik-Lundenburger Invest AG – zu 100 Prozent im Eigentum der Raiffeisen Holding Niederösterreich Wien – besitzt der Konzern unter anderem die Firmen AGRANA, cafe+co und Good Mills. Sie sind damit klarer Platzhirsch bei der Zucker- und Mehlproduktion. Österreichs beliebtestes Mehl „Finis Feinstes“ ist ein Raiffeisenprodukt und mit 27 Prozent Marktanteil klarer Marktführer. Kaffeeautomaten in Büros und der Wiener Zucker – alles Produkte der Leipnik-Lundenburger Invest AG. Insgesamt setzt das Unternehmen jedes Jahr Produkte im Wert von über einer Milliarde Euro um. Der Manager der Raiffeisen-Tochter ist der ehemalige ÖVP-Finanzminister Josef Pröll.
Knabbernossi, Maresi-Milch und Inzersdorfer Dosengulasch sind Raiffeisen-Produkte
Auch die Oberösterreichische Raiffeisenbank mischt in der Nahrungsmittelindustrie mit. Über eine Stiftung besitzen sie 100 Prozent der Vivatis AG. Diesem Unternehmen gehören etwa Marken wie Knabbernossi, Maresi, Inzersdorfer und Gourmet. Mit dem Café Schwarzenberg und dem Wiener Rathauskeller sind auch zwei Wiener Gastrobetriebe Teil des Konzerns. Über eine andere Konstruktion ist die Raiffeisenbank Oberösterreich auch Eigentümer der Firma Eferdinger Konserven – besser bekannt als Efko.
Jedes zweite Essiggurkerl, das ÖsterreicherInnen kaufen, ist ein Raiffeisen-Produkt.