Arbeitszeit auf 42 Stunden erhöhen, höhere Steuern und Kürzungen bei den Spitälern. Das alles sind Forderungen aus der FPÖ.
Der zweite Unterschied ist, dass die Notstandshilfe in der Pensionsversicherung versichert ist. Das heißt, dass man auch noch Versicherungsmonate für die Pensionsversicherung erwirbt, während man in der Notstandshilfe ist. Das ist bei der Mindestsicherung nicht der Fall, was zu erheblich geringeren Pensionen führt. In Deutschland wird deshalb groß das Problem der Altersarmut diskutiert.
„In der Mindestsicherung wird man zum Bittsteller.“
Der dritte große Unterschied ist, dass die Notstandshilfe nach wie vor eine Versicherungsleistung ist, die Mindestsicherung aber eine Fürsorgeleistung. Hier geht es um den Status. Die Notstandshilfe ist ein Recht, in der Mindestsicherung wird man zum Bittsteller.
Was ist sonst noch geplant?
Die Zumutbarkeitsbestimmungen sowie Einkommensschutz und Berufsschutz in der Arbeitslosigkeit sollen überprüft werden. Überprüfen heißt in dem Kontext verschärfen. Die zumutbaren Wegzeiten sollen ausgedehnt werden. Das halte ich angesichts der realen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt für OK.
Schwieriger ist es mit Einkommensschutz und Berufsschutz. Im Moment ist man ja für die ersten vier Monate in der Arbeitslosigkeit so weit geschützt, dass man einen neuen Job nur dann akzeptieren muss, wenn man wenigstens 75 Prozent des Bruttolohns der letzten Arbeitsstelle verdient – das ist der Einkommensschutz. Jetzt soll dieser Prozentsatz gesenkt werden. Damit könnten Arbeitslose gezwungen werden, weitaus schlechter bezahlte Jobs anzunehmen.
Betroffen sind ältere Menschen, kranke Menschen, Frauen und pflegende Angehörige.
Und der Berufsschutz in der Arbeitslosigkeit heißt, dass man durch den neuen Job in der bisher ausgeübten Tätigkeit nicht wesentlich eingeschränkt werden soll. Wenn der Berufsschutz fällt, setzt man Menschen stark unter Druck, möglichst rasch wieder irgendeine Arbeit anzunehmen. Dann nehmen sie mitunter eine Arbeit an, bei der sie ihre Qualifikationen in Wirklichkeit nicht brauchen. Dadurch gehen aber die Qualifikationen verloren. Das ist ein volkswirtschaftlicher Nachteil.
Wer wäre aus heutiger Sicht von den Änderungen im Arbeitslosengesetz betroffen?
Alle Personengruppen, die sich schwertun, stabile Beschäftigung in Österreich zu erhalten: Das sind Menschen mit fehlender oder veralteter beruflicher Ausbildung, über 50-Jährige, Menschen mit gesundheitlichen Problemen, Frauen, pflegende Angehörige und viele nicht-österreichische StaatsbürgerInnen, die in prekären Arbeitsverhältnissen sind.
Der heutige Innenminister Herbert Kickl hat der ÖVP damals nach Bekanntwerden der Hartz-IV-Studie noch „weltfremde Elitenpolitik“ unterstellt. Warum setzt die FPÖ jetzt genau diese Politik um? Oder ist das die Handschrift der ÖVP?
Ein Regierungsübereinkommen ausverhandeln heißt natürlich immer wieder, Kompromisse zu finden. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass es ja auch in der FPÖ zwei unterschiedliche Lager gibt, wie das Wirtschaftsprogramm der FPÖ klar erkennen lässt. Das eine Lager ist ein sehr marktliberales, neoliberales Lager, und das andere ist ein national-soziales Lager.
Im Regierungsübereinkommen hat sich über weite Strecken dieses neoliberale Lager innerhalb der FPÖ durchgesetzt. Denn sonst hätten sie all diesen Punkten nicht zustimmen können und dürfen. Und dahinter stehen Interessen.
„Es bleibt die Frage, ob die FPÖ-Wähler erkennen, dass sie ordentlich verarscht werden.“
Das sind einerseits die Interessen der Unternehmen, die sich damit auch der finanziellen Verantwortung für Langzeitarbeitslosigkeit entziehen. In der Notstandshilfe sind sie in die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung über Arbeitgeberbeiträge eingebunden sind. In der Mindestsicherung müssten sie das dann nicht mehr mitfinanzieren.
60 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter wählen die FPÖ. Wie kann die FPÖ die Interessen der Unternehmen vertreten, und trotzdem weiterhin von der Arbeiterschaft gewählt werden? Zerstört das nicht ihr Image?
Es ist kein Zufall, dass das ‚Arbeitslosengeld Neu‘ zu ersten erheblichen Auseinandersetzungen in dieser Bundesregierung geführt hat. Ich gehe davon aus, dass die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungsparteien und innerhalb der FPÖ gravierender werden, je näher das Projekt zur Umsetzung kommt.
Es bleibt die Frage, ob dann einmal größere Gruppen von FPÖ-Wählern erkennen, dass sie – mit Verlaub – ordentlich verarscht werden. Oder ob es dann nicht doch noch gelingt, dass man jenen, denen man jetzt Rechte wegnimmt, sagt: „Es gibt immer noch ein paar Rechtlosere als euch, auf die ihr hinhacken könnt.“
Entsolidarisierung heißt: Der Neid der Armen auf die Reichen, wird zum Neid der Armen auf die noch Ärmeren.
Aber die Entsolidarisierung, die die FPÖ betreibt, zeigt bereits Wirkung in der Gesellschaft. Es ist ein Umlenken des Neides von den Armen auf die Reichen, hinzu einem Neid von den Armen auf die noch Ärmeren. Das zeigt sich vor allem in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik.
Ist den Menschen eine ausländerfeindliche Politik wirklich wichtiger als ein starkes soziales Netz und eine solide Pensionsversicherung?
Da muss man zunächst einmal fairerweise sagen, dass die FPÖ in ihrem Wahlprogramm eine Hartz-IV-Gesetzgebung nur für ausländische Staatsbürger vorgesehen hat und nicht für Österreicherinnen und Österreicher.
Und da kommen wir auch schon zum Punkt: Insbesondere für Menschen mit eher geringerer Ausbildung und schlechter beruflicher Ausbildung, haben sich die Arbeits-und Einkommensbedingungen in den letzten 20 Jahren wirklich nicht zum Guten verändert.
„Man ist Rattenfängern auf den Leim gegangen.“
Dadurch gibt es viel Verunsicherung, viel Skepsis und Angst vor der Zukunft. Und genau diese Emotionen wurden politisch genutzt. In der FPÖ hat man einen Sündenbock und der Sündenbock heißt Ausländerin oder Ausländer. Damit ist aus einer real nachvollziehbaren, sozialen Situation eine – aus meiner Sicht – falsche politische Option gezogen worden. Man ist Rattenfängern auf den Leim gegangen.
Nach derzeitigem Stand sieht es so aus, als könnte sich der Staat in Zukunft auch ins Grundbuch eintragen lassen, wenn jemand ein Haus oder eine Wohnung hat und Mindestsicherung beziehen will. Gerade am Land haben viel mehr Menschen Immobilien als in der Stadt. Und gerade am Land haben auch viel mehr Menschen die Regierungsparteien gewählt als in der Stadt.
Das ist richtig. Die Regierung trifft mit dieser Gesetzgebung ihre eigenen Wähler und Wählerinnen. Denn es gibt nirgends einen so hohen Anteil an Mietwohnungen wie in Wien. Was eine erwartbare Folge sein wird, ist dass Menschen sozialstaatliche Leistungen gar nicht mehr in Anspruch nehmen, sondern sich zunehmend aus dem offiziellen Arbeitsmarkt zurückziehen. Dass sie in eine sogenannte ‚Out-of-labour-force‘-Position gehen, wenn sie während des Arbeitslosengeldbezuges keine passende Beschäftigung finden.
„Die Regierung trifft mit dieser Gesetzgebung ihre eigenen Wähler und Wählerinnen.“
Bevor sie den Staat ins Grundbuch ihrer Häuser lassen, tun sie gar nichts mehr. Was das jetzt für die Sozialversicherungen und für das Steueraufkommen heißt, ist wieder eine andere Geschichte. Es ist also keine wirklich intelligente Politik, die da betrieben wird.
Laut der oben erwähnten Studie könnte sich der österreichische Staat mit einem Hartz-IV- Modell bis zu 1 Milliarde Euro sparen – die Armut in Österreich würde aber steigen. In Deutschland hat selbst der ehemalige Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, bei seinem Abgang das System Hartz IV teilweise in Frage gestellt. Warum gilt Hartz IV trotzdem noch als Vorbild für unsere Politiker?
Viele Vordenker und Vorkämpfer für die Hartz-IV-Reformen in der deutschen Bundesanstalt für Arbeit, ganz oben der Herr Weise, haben mittlerweile eine Kehrtwende in ihrer Haltung vollzogen. Gerade beim Thema Langzeitarbeitslose braucht man andere Interventionen.
Aber meiner Meinung nach geht es hier auch um politische Ökonomie und gar nicht so sehr um die 160.000 Menschen, die in Österreich unmittelbar betroffen wären. Es geht um die Disziplinierung der Beschäftigten. Es geht um das Durchsetzen einer Politik, in der Beschäftigte ganz einfach unter Druck und in Sorge um ihren Arbeitsplatz gehalten werden. Das ist das Kernziel.