Der KURIER geht den Vorwürfen der Regierung nach: Wie luxuriös es sich im früheren Privilegien-Dschungel wirklich noch lebt.
Dienstwägen, Luxuspensionen und Traumgagen im Funktionärsparadies der Sozialversicherungen. Langjährige politische Beobachter fühlen sich an Jörg Haiders gefürchtete „Taferln“ bei TV-Auftritten mit tatsächlichen und vermeintlichen Skandal-Summen erinnert.
Im übertragenen Sinn halten Haiders Taferln heute Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache ins Publikum. 21 Sozialversicherungsträger, rund 1000 Funktionäre, 26.000 Mitarbeiter und viele Milliarden sind im Spiel. Aber worum geht es?
Wie zuletzt beim AMS oder der AUVA gilt offenbar auch hier die Kommunikationsstrategie: Right oder wrong – Hauptsache da bleibt immer etwas hängen.
Konkret geht es um den Regierungsplan der Zusammenlegung auf maximal fünf Sozialversicherungsträger, Kurz und Strache wollen mit einer Privilegien- und Neiddebatte Widerstand bereits im Vorfeld brechen. Sie ernten zwar dafür einen Sturm der Entrüstung, dominieren aber die Schlagzeilen mit ihrer Botschaft. Sie lautet: Wir legen die rot-schwarzen Sümpfe und Spielwiesen der Sozialpartner trocken.
Wie weit die türkis-blauen Reformer damit kommen, wird sich erst zeigen. In Vorarlberg gab es am Mittwoch die erste Betriebsversammlung samt Streikdrohung, sollte die Gebietskrankenkasse im Ländle geschlossen werden. Kaum zu überhörender Protest in anderen Ländern dürfte folgen.
Ein KURIER-Faktencheck soll helfen, die zentralen Vorwürfe der Regierung einzuordnen.
Wozu 1000 Funktionäre? Ja, bei den 21 Sozialversicherungsträgern (von den Krankenkassen bis zur Unfall- und Pensionsversicherung) werken mehr als 1000 Funktionären. Das ist Ausfluss des Systems der Selbstverwaltung durch Arbeitgeber und -nehmer, das die Blauen oft und heftig kritisiert haben. Die allermeisten arbeiten de facto ehrenamtlich. Sie erhalten Sitzungsgelder von 42 Euro und ähnlich hohen Spesenersatz. Laut Hauptverband erhält ein Funktionär durchschnittlich 390 Euro pro Jahr.
Hoch bezahlte (rote) Obmänner? Nur in Tirol und Vorarlberg gibt es schwarze Obleute, in allen anderen Bundesländern stehen Rote an der Spitze der jeweiligen Krankenkasse. Faktum ist auch: Pro Kasse gibt es fünf Top-Funktionäre – den Obmann und seine beiden Stellvertreter, sowie den Leiter des Kontrollausschusses und dessen Vize. Sie verdienen maximal 4147 Euro pro Monat brutto (12 Mal jährlich). Ein Abgeordneter erhält zum Vergleich 8756 Euro (14 Mal jährlich). Dafür haften Mitglieder der Selbstverwaltung auch noch mit ihrem Privatvermögen, empört sich die NÖ-Krankenkasse über den Privilegienvorwurf.
Wird mit Versicherungs-Milliarden spekuliert? Auch der Spekulationsvorwurf trifft nicht den Punkt. Tatsächlich sind rund 1,4 Milliarden der gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen in Wertpapieren höchster Bonität (z.B. Staatsanleihen) angelegt. Zwar gab es in den Jahren 2009 und 2014 kritische Rechnungshofberichte zu diesem Thema, auf die die Regierung nun verweist. Aber es gab noch nie einen Spekulationsskandal, maximal kleinere Verluste etwa bei der AUVA. Der Rechnungshof mahnte daher eine höhere Professionalität bei der Veranlagung ein, weil teils unzulässige Instrumente eingesetzt wurden (z.B. ein Immobilienfonds, bei dem Aktien nicht ausgeschlossen waren). Auch die Pharmaindustrie kritisiert die hohen Rücklagen der Kassen, weiß aber, dass hier der Gesetzgeber am Zug wäre – wie auch bei einer allfälligen Beitragssenkung für die Versicherten.
Gibt es noch Luxuspensionen? Ein zentraler Vorwurf der Regierung betrifft die Pensionen bei den Sozialversicherungen. Richtig ist: In der Vergangenheit gab es hohe Sonderpensionen, die heute noch das Budget belasten.
Bis zur Reform 1996 wurde die ASVG-Höchstpension generös auf 85 Prozent des Letztbezuges aufgestockt. Das gibt es jetzt nicht mehr. Das System wurde durch Pensionskassen-Lösungen für Neueintretende ersetzt. Das haben aber laut Statistik in Summe 900.000 Arbeitnehmer in ganz Österreich.
Freilich gibt es aus der Zeit von vor 1996 noch rund 1200 besonders gute Kassen-Altverträge, mit teils absurd hohen Zusatzpensionen von mehreren Tauend Euros im Monat. Aber eben auch rund 14.000 „normale“ ehemalige Mitarbeiter, die heute eine Zusatzpension von durchschnittlich rund 1300 Euro haben. In Summe kostet das gesamte System (Alt- und Neuverträge inklusive der Hinterbliebenen-Leistungen) den Staat jährlich rund 330 Millionen Euro. Darüber will die Regierung diskutieren, was erlaubt sein muss. Auch frühere Regierungen haben Sonderpensionen den Kampf angesagt.
160 Luxuskarossen? Teil der Debatte sind einmal mehr die Dienstautos. 160 sollen es laut Regierung sein, 161 sagt der Hauptverband – allerdings österreichweit nur 18 echte Dienstwägen für die Obmänner und Direktoren der jeweiligen Träger. Der große Rest sind 143 sonstige Fahrzeuge für Sachtransporte, oder Mitarbeiter z.B. für die Beitragsprüfung.
Ein Beispiel: Die Salzburger Gebietskrankenkasse hat drei Fahrzeuge, zwei Lieferwägen und einen Pkw, einen sechs Jahre alten Volvo, den alle Mitarbeiter nutzen können.
Dies deshalb, weil das billiger käme als eine Kilometer-Abrechnung bei der Nutzung privater Pkws.
Quelle https://kurier.at/politik/inland