5. Urlaubswoche und Kündigungsschutz für Mütter: Diese 489 Standards sind der Industrie zu hoch
Die Regierung hat dazu aufgerufen, Regelungen aus dem Arbeits- und Sozialrecht bis hin zum Naturschutz zu melden, die über EU-Mindestkriterien liegen („Gold Plating“). Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung haben diese Chance genutzt und eine Liste mit 489 Punkten vorgelegt. Darunter finden sich Ideen wie die Lockerung des Mutterschutzes und die Kürzung des Urlaubs von 4 auf 5 Wochen.
Die EU schreibt Mindeststandards in vielen Bereichen vor: bei Arbeit, Soziales, Umweltschutz usw. Die Mitgliedsländer dürfen diese Standards nicht unterschreiten. Viele dieser Standards sind in Österreich höher als in der EU. Schließlich stellen die EU-Mindestniveaus Kompromisse mit EU-Staaten dar, die zum Teil sehr niedrige Arbeits- oder Umweltstandards haben.
Die Regierung nimmt die Mindeststvorschriften aber zum Anlass, um österreichische Standards zurückzufahren. Bis Ende Mai hatten Interessensvertreter Zeit, Fälle von „Gold Plating“ zu melden. Die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung haben jetzt eine lange Liste vorgelegt: In 489 Punkten wünschen sich die Wirtschaftsvertreter von der Regierung, das österreichische Niveau auf die EU-Mindestbestimmungen zu senken.
Darunter: Nur mehr 4 statt 5 Urlaubswochen und kein Kündigungsschutz für Mütter im Mutterschutz. Ein erster Bericht zum Thema erschien im aktuellen „Profil“. Kontrast liegt die Forderungsliste ebenfalls vor.
Hier eine Auswahl an Regelungen, die laut Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung (IV) auf EU-Mindeststandards reduziert werden sollten:
- Urlaub: In Österreich hat jeder Arbeitnehmer mindestens 5 Wochen Urlaub im Jahr. Laut EU sind aber nur vier Wochen notwendig. Das verursacht „Mehrkosten – die Unternehmen sind verpflichtet, die Dienstnehmer trotz Abwesenheit zu bezahlen“, heißt es im WKÖ-Papier dazu. Allerdings gibt es die österreichische Urlaubsregelung 10 Jahre länger als die Arbeitszeit-Richtlinie der EU. Hier kann also kaum von „Gold Plating“ im Sinne einer Übererfüllung von EU-Vorschriften gesprochen werden.
- Mutterschutz: Schwangere Frauen dürfen in Österreich bis 4 Monate nach der Entbindung nicht gekündigt werden. Was für Frauen eine wichtige Absicherung ist, kritisieren die Wirtschaftsvertreter in ihrem Katalog als „unnötige Einschränkung des Kündigungsrechts; erhöht die Personalkosten“. Sie bevorzugen die Minimal-Vorgabe der EU: Kündigungen sollen in „Ausnahmefällen“ möglich sein – etwa „im Rahmen einer Massenentlassung“ soll auch für Schwangere und junge Mütter kein besonderer Schutz gelten. Der Kündigungsschutz besteht seit 1979 – die EU-Richtlinie erst seit 2003.
- Arbeitszeit: Trotz kürzlich beschlossenem 12-Stunden-Tag sehen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung im österreichischen Arbeitszeitgesetz eine „massive Einschränkung der Flexibilität“. Die EU-Richtlinie sehe keine Höchstarbeitszeit pro Tag und Woche vor, nur eine Ruhezeit von 11 Stunden und eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden im Zeitraum von 4 Monaten. Auch Überstunden-Zuschläge sind nicht vorgeschrieben. „Österreich nutzt diese Ermächtigung nicht“, heißt es im Papier von IV und Wirtschaftskammer.
- Gleichbehandlung: Um das Einkommen von Frauen und Männern in Österreich anzugleichen, müssen Unternehmen in Stellenanzeigen das geltende kollektivvertragliche Mindestentgelt angeben und auf die Bereitschaft zur Überzahlung hinweisen, wenn eine solche besteht. Die Wirtschaftskammer kritisiert die „Mehrkosten durch aufwändigere Gestaltung und längeren Stellenanzeigentext“. Überhaupt sieht sie keinen Bedarf, die Lohnschere zwischen Männern und Frauen zu schließen, denn die Unterschiede hätten „sachliche Gründe z.B. Teilzeit, Erwerbsunterbrechungen, Branche, Tätigkeit, Berufserfahrung, Ausbildung, andere Gewichtung von Einkommenshöhe und Arbeitsklima“. Das widerspricht einer aktuellen Studie der Statistik Austrie, die zeigt: Nur zwei Drittel der Einkommensunterschiede lassen sich durch soziale und berufliche Merkmale von Frauen und Männern erklären, der Rest ist Diskriminierung.
- Lohn- und Sozialdumping: Das österreichische Anti-Lohn- und Sozialdumpinggesetz ist strenger als die EU-Entsenderichtlinie. In Österreich werden Unternehmen bestraft, die Beschäftigten zu wenig zahlen – das reicht vom Mindestlohn bis hin zu Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Zulagen. Der Schutz des heimischen Arbeitsmarktes vor Lohndumping durch Entsendungen aus dem Ausland stört sowohl Wirtschaftskammer wie Industriellenvereinigung: Es soll nur noch bestraft werden, wer Mindestlöhne unterschreitet oder Überstunden nicht bezahlt. Wenn ein Unternehmen aber weitere Teile des Entgelts unterschlägt (Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Sonntagszuschläge und Nachtzulagen), soll das nicht mehr extra bestraft werden.
- Entsenderichtlinie: Die Regelungen gegen Lohn- und Sozialdumping sollen auch in einem weiteren Punkt aufgeweicht werden: Der Mindestlohn soll unterschritten werden dürfen, wenn ein ausländischer Arbeitnehmer nur ein Monat in Österreich arbeitet.
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IV und WKO haben mit Freizeit keine Freude
Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung dementieren in einer ersten Reaktion, die 5. Urlaubswoche streichen zu wollen. Doch bei einem Blick in die Vergangenheit wird ersichtlich: Mit den freien Tagen der Beschäftigten haben WKÖ und IV nicht die größte Freude. In Presseaussendungen kritisieren die Interessensvertreter von Wirtschaft und Industrie seit Jahren, dass es in Österreich zu viele freie Tage gebe. Das Ziel, die bezahlte Freizeit zu reduzieren wird recht beständig verfolgt. Regelmäßig bringen WKÖ und IV Vorschläge in Umlauf, wie in Österreich mehr bzw. länger gearbeitet werden kann. So hat die IV beispielsweise schon vorgeschlagen, Feiertage auf Sonntag oder Freitag zu „verlegen“.
Quelle https://kontrast.at/goldplating-liste-wirtschaftskammer-iv-urlaub-mutterschutz/