ÖVP: Spott für Kleinverdiener – Attacken auf den Sozialstaat
„Ich fühl‘ mich schon manchmal ausgenützt, wenn ich den ganzen Tag arbeiten gehe und am Ende vom Monat ist nichts übrig“, sagt Chantal in einem Video, das die SPÖ auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hat. Die Reaktionen aus der ÖVP sind entlarvend: Chantal wird ausgelacht und verspottet, schon aufgrund ihres Vornamens werden ihre Anliegen nicht ernst genommen. Wir sollen lachen über „die da unten“, die nicht zur Mittelschicht gehören dürfen, weil sie den falschen Namen tragen und zu wenig auf ihrem Lohnzettel steht. Es ist die Verachtung einer selbsternannten Elite, die sich über andere erhebt. Und es ist der Versuch, ein Land zu spalten und den Wohlfahrtsstaat abzubauen.
In Reaktion auf ein SPÖ-Video, in dem eine junge Frau erklärt, dass ihr Einkommen kaum reicht, um über die Runden zu kommen, macht die JVP deutlich, dass jemand wie sie, Chantal, es nicht verdient hat, Mittelschicht zu sein.
Jemand wie Chantal, die den falschen Vornamen trägt und für 1.500 Euro arbeiten geht, soll sich bloß nicht herausnehmen zur selben Schicht gehören zu wollen, wie die JVP-Funktionäre. Arbeiten zu gehen für wenig Geld, das ist doch zum Lachen. Wer da glaubt, ein typisches Mittelschichts-Leben führen zu dürfen – mit Wohnung, Familie und Urlaub – der ist anmaßend, so der Tenor.
Denn die Mittelschicht ist für die ÖVP eine exklusive Gruppe. Ein „typischer Mittelständler“ ist niemand, der Chantal heißt, sondern einer wie Martin Bartenstein. So sieht sich zumindest der Millionär und seiner Zeit „reichster Minister“ in der Regierungsriege. Während die Elite überall Sozialbetrug wittert, um sie anzuprangern und nach Verschärfungen zu rufen, betrachtet man beispielsweise den von Bartenstein erbetenen „Minister-Rabatt“ beim Schuhkauf mit Milde.
Wer staatliche Unterstützung bekommt, wird zur ÖVP-Zielscheibe
Die Aussagen aus der ÖVP zum Video der Kleinverdienerin sind aber nicht neu. Es gibt eine gewisse Tradition in der Volkspartei, auf Menschen am unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter mit Verachtung zu blicken.
So stehen bei der neuen Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, viele Empfänger von Sozialleistungen im Verdacht, „nicht schwach, sondern nur unverschämt“ zu sein. Dazu passt auch eine einstige Kampagne der niederösterreichischen ÖVP, die davor warnt, „den Faulen“ zu helfen.
Ähnlich in Wien. Für den ÖVP-Politiker Gernot Blümel ist die Mindestsicherung eine „Hängematte„, das Verbleiben darin sei genauso schlimm wie tatsächlicher „Sozialmissbrauch„. Er stellt damit den gesetzlich geregelten Bezug einer Leistung, die vor Armut schützen soll unter den Generalverdacht, unrechtmäßig bezogen zu werden. Wien sei ein „Schlaraffenland am Sozialmarkt“ – was Blümel damit behauptet: Mit Sozialleistungen lässt sich ein Leben in Saus und Braus führen.
Und auf Bundesebene? Sebastian Kurz wirft Menschen vor, Sozialleistungen als „gute Alternative zum Arbeitsleben“ zu sehen. Er klammert aus, dass oft genau das Gegenteil der Fall ist: Weil Löhne und Gehälter nicht zum Leben reichen, muss das Einkommen durch Sozialleistungen aufgestockt werden. 75 Prozent aller Bezieher der Mindestsicherung sind solche Aufstocker, sie beziehen neben ihrer Arbeit eine Ergänzungsleistung, weil sie zu wenig verdienen.
Woher kommt die Verachtung?
Die ÖVP nährt den Mythos, Arbeitsunwille und Missbrauch seien die Regel – dabei sind es fehlende Jobs und zu niedrige Gehälter, über die wir diskutieren müssen. Zu niedrige Gehälter und fehlende Jobs sind die Folgen einer ungerechten Gesellschaft, die Konzernen und Reichen üppige Steuergeschenke macht, Bildungschancen verweigert und Lohndrückerei zulässt. Steuervermeidung von Großkonzernen kostet Staaten jährlich Milliarden, doch skandalisiert werden Fälle ganz unten, die das Budget weit weniger belasten.
Ähnlich sieht das auch der Publizist Owen Jones, der ein Buch über die Verachtung der Arbeiterklasse geschrieben hat:
„Im Laufe der Jahrhunderte wurde gesellschaftliche Ungleichheit immer wieder durch die Dämonisierung der Menschen am unteren Ende gerechtfertigt.“ Sie ist „das ideologische Fundament einer ungleichen Gesellschaft.“
Mit der Agitation gegen Kleinverdiener und Empfänger von Sozialleistungen will man einen Keil zwischen Menschen treiben. Beispielsweise zwischen jene, die Arbeit haben und jene, die keine haben. Ziel ist eine Entsolidarisierung.
3 Fakten zu Sozialleistungen in Österreich
Die Vorwürfe gegen sozial Schwache sind ungerechtfertigt – hier ein Überblick, warum:
1 – Sozialleistungen sind treffsicher
Wer Anspruch auf Sozialleistungen hat, ist klar geregelt – der Bezug wird genau kontrolliert. Fälle von Missbrauch sind die klare Minderheit und finden unten wie oben statt. Eine Studie hat ergeben: Bei der Mindestsicherung kam es bei gerade Mal 0,8 Prozent der BezieherInnen zu Sanktionen wegen falscher Angaben oder der Weigerung, Jobangebote anzunehmen.
2 – Der Sozialstaat ist leistbar
2015 wurden 0,8 Prozent des Sozialbudgets für die Auszahlung der Mindestsicherung aufgewendet.
3 – Sozialleistungen dienen der Überbrückung
Im Durchschnitt erhält ein BezieherIn Leistungen aus dem Mindestsicherungstopf etwa 6 bis 9 Monate, nicht ein halbes Leben lang. Sozialleistungen überbrücken die Zeit zwischen Jobs, um dazwischen abgesichert zu sein und nicht die Existenz zu verlieren.
Quelle https://kontrast.at/oevp-spott-fuer-kleinverdiener-attacken-auf-den-sozialstaat/