Antwort an den Vizekanzler zum Thema Notstandshilfe und Arbeitslosengeld
Lieber Herr Strache! ÖVP und FPÖ wollen auf das Ersparte von Arbeitslosen zugreifen – auch wenn Sie es leugnen!
Sehr geehrter Herr Strache,
Sie haben uns in der Debatte um die Abschaffung der Notstandshilfe vorgeworfen, „unfassbare Lügenpropaganda“ zu verbreiten. Wir nehmen Reaktionen auf unsere Inhalte immer ernst – und das machen wir auch in diesem Fall.
Wir haben uns noch einmal genau angesehen, was Ihre Partei und die Ihres Koalitionspartners ÖVP zur Abschaffung der Notstandshilfe und der Reform des Arbeitslosengeldes gesagt haben. Und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass alle Reaktionen seit Beginn der schwarz-blauen Regierung darauf hindeuten, dass die Regierung eine Regelung plant, bei der es zum Verlust von Sparbuch, Auto, Haus oder Wohnung von Jobsuchenden kommen kann – spätestens nach Ablauf des Arbeitslosengeldes.
Wir machen gerne transparent, wie wir zu diesem Schluss kommen, dass die Regierung in den nächsten Monaten die Notstandshilfe abschaffen will. Und warum das mit einer Enteignung von Menschen verbunden sein wird, die über längere Zeit keinen Job finden.
Wer muss mit Enteignung rechnen?
In Ihrem Facebook-Posting vom 7. November, in dem sie uns „Lügenpropaganda“ unterstellen, schließen Sie nicht einmal selbst aus, dass der Staat auf Auto, Haus oder Sparbuch von Jobsuchenden zugreifen soll. Dort sagen Sie nur: Für Menschen, „welche ein Leben lang hart gearbeitet haben“, wird es keinen Vermögenszugriff geben. Gehen wir einmal davon aus, dass das stimmt. Gehen wir davon aus, dass Ihre Zusicherung im Fall der Notstandshilfe mehr wert ist als im Falle des 12-Stunden-Tages – dann bleibt immer noch die Frage:
Was bedeutet das umgekehrt? Jeder, der (noch) nicht sein Leben lang gearbeitet hat, muss mit dem Zugriff auf sein Vermögen rechnen? Mütter, die den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht gleich schaffen? 40-jährige Männer in ländlichen Regionen, deren Arbeitgeber in Konkurs gegangen ist?
Abschaffung der Notstandshilfe
Dass die Notstandshilfe abgeschafft wird, ist laut ihren KollegInnen in der Regierung ausgemachte Sache. Im Jänner hat die zuständige Ministerin aus ihrer Partei, Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ankündigt:
Die Notstandshilfe wird abgeschafft und geht in die Arbeitslose auf.“ (Beate Hartinger-Klein in der ZIB 2 am 2. Jänner 2018)
Die Notstandshilfe wird es in der derzeitigen Form nicht mehr geben. Und die Mindestsicherung steht all jenen offen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben oder deren Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist.“ (Sebastian Kurz in der ZIB, 5. Jänner 2018)
Am Ende wird es also nur noch das Arbeitslosengeld und die Mindestsicherung geben. Keine Notstandshilfe mehr, so steht es auch in Ihrem Regierungsprogramm (S. 143)
Sebastian Kurz zum Arbeitslosengeld: weniger und kürzer
Das Arbeitslosengeld soll laut Regierungsprogramm „degressiv“ gestaltet werden. Laut Bundeskanzler Kurz bedeutet das, dass „Personen, die kürzer gearbeitet haben, weniger Anspruch haben und weniger lange diese Leistung (das Arbeitslosengeld, Anmk.) in Anspruch nehmen können.“ (Sebastian Kurz im „Kurier“, 5. Jänner 2018)
Das heißt nichts anderes als: Wer nach 10 Jahren seinen Job verliert, bekommt weniger Arbeitslosengeld als jemand, der 25 Jahre gearbeitet hat.
Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung. Jeder Erwerbstätige zahlt in diese ein, um in Zeiten der Jobsuche nicht seine Existenz zu verlieren.
Stellen Sie sich vor, jede Versicherung würde so funktionieren, wie Sie es für das Arbeitslosengeld vorsehen: Zwei Häuser werden durch einen Muren-Abgang beschädigt. Beide Familien in den Häusern haben eine Haushaltsversicherung. Aber eine Familie wohnt fünf Jahre länger im Ort – und bekommt mehr von der Versicherung als die andere. Ist das fair oder gerecht?
Tausende werden in die Mindestsicherung rutschen
Derzeit beträgt das Arbeitslosengeld 55 Prozent des vorherigen Netto-Bezug. Wird das gekürzt, reicht das Geld für viele – gerade junge Familien – nicht mehr aus, um die Zeit ihrer Jobsuche zu überbrücken. Was wird passieren, wenn jemand nicht von dem Geld leben kann, weil es so wenig ist? Richtig, er oder sie kann auf die Mindestsicherung „aufstocken“. Die Mindestsicherung sieht aber vor, dass man maximal 4.300 Euro Erspartes (auch inkl. z.B. Lebensversicherung, PKW…) besitzen darf. Auf den gesamten weiteren Besitz dieser Menschen wird der Staat zugreifen.
Dazu kommt, dass der Bezug des Arbeitslosengeldes derzeit zwischen 20 und 52 Wochen liegt (abhängig von Alter und Einzahlungsdauer). Es läuft also nach allerspätestens einem Jahr aus. Wenn Sie die Notstandshilfe abschaffen, rutschen jene, die nach einem Jahr noch auf Jobsuche sind, in die Mindestsicherung – samt Vermögenszugriff. Wann genau das in ihrem Modell sein wird, das wüssten wir auch gern. Leider äußern sich weder ÖVP noch FPÖ dazu.
Sehr wohl ein staatlicher Zugriff auf Erspartes
Mehr Klartext als Sie, Herr Strache, spricht übrigens Ihr Parteikollege Norbert Hofer. Er findet den staatliche Zugriff sogar „fair und gerecht“:
Es wird Fälle geben, wo dieser Zugriff auch fair und gerecht ist.“ (Norbert Hofer, „Pro und Contra“ auf Puls 4, 10. Jänner 2018)
Noch direkter formuliert es Ihr Koalitionspartner Sebastian Kurz:
Wenn jemand Vermögen hat und nicht arbeiten geht, dann kann es nicht die Aufgabe der Allgemeinheit sein, ihn zu erhalten.“ (Sebastian Kurz, ZIB, 18. Dezember 2017)
Irreführend ist hier nur das Wort „Vermögen“. 20.000 Langzeitarbeitslose wohnen im Eigentum, sie besitzen also ein Haus oder eine Wohnung. Hier geht es nicht um große Vermögen, sondern um Errungenschaften, die sich diese Menschen mühevoll erarbeitet haben und die ihre Regierung ihnen nehmen will, wenn sie keinen Job finden.
Die Regierung ist der Bevölkerung Antworten schuldig!
Seit die Debatte um die Abschaffung der Notstandshilfe nach einem Bericht der Zeitung Österreich aufgeflammt ist, hat sich übrigens niemand aus der ÖVP dazu geäußert. Kein einziger ÖVP-Poliker wollte öffentlich erklären, dass die Regierung nicht plant, Arbeitslose zu enteignen. Vier Tage lang hat auch niemand aus der FPÖ den geplanten Zugriff auf den Besitz von Arbeitslosen dementiert. Sie waren der erste, der dies als „Lügenpropaganda“ bezeichnete – wenn auch ohne die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Pläne der Regierung zu informieren.
Vor Ihnen hat sich nur ihr Partei-Vize Norbert Hofer zu Wort gemeldet. Interessanterweise hat er die Frage, ob Ihre Regierung auf Haus, Auto und Sparbuch von Jobsuchenden zugreifen wird, dabei ausgelassen. Er hat nur abgestritten, dass die Abschaffung der Notstandshilfe Teil eines Deals ist, über den Österreich berichtet hat: Die FPÖ bekommt das Nein zum Migrationspakt, die ÖVP dafür den Zugriff auf Haus und Auto von Arbeitslosen.
Sehr geehrter Herr Strache! Bevor Sie uns das nächste Mal „Lügenpropaganda“ vorwerfen, sollten Sie Ihren Kollegen und Kolleginnen aus der FPÖ und Ihrem Koalitionspartner genauer zuhören.
Wir gehen nicht davon aus, dass Sie Ihre falsche Anschudligung zurücknehmen – auch wenn das angebracht wäre. Allerdings erwarten wir, dass Sie und die Bundesregierung uns Antworten geben: Was haben ÖVP und FPÖ mit den Jobsuchenden vor? Worauf müssen sich die Menschen in Österreich einstellen?
Quelle https://kontrast.at/notstandshilfe-strache-antwort/