29.3.2020
Coronavirus-Krise
Debatte über höheres Arbeitslosengeld
Die Arbeitslosenzahl ist zuletzt um mehr als 170.000 Personen gestiegen und wird es wohl noch weiter tun. Angesichts der aktuell unklaren wirtschaftlichen Perspektiven wurden am Sonntag Rufe nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes laut. SPÖ und FPÖ, sonst eher selten einer Meinung, schlossen sich dabei wie die Arbeiterkammer (AK) auch einer entsprechenden Forderung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) an. Begründung: Derzeit stünden die Chancen, einen neuen Job zu finden, besonders schlecht.
Die aktuelle Höhe des Arbeitslosengeldes, die Nettoersatzrate von 55 Prozent des letzten Einkommens, sei zu niedrig, hatte am Sonntag ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian in der ORF-„Pressestunde“ erklärt. „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das Arbeitslosengeld anzuheben, weil die Leute keine Chance haben, einen neuen Job zu finden.“
Am Freitag hatte das Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldet, dass die Zahl der als arbeitslos gemeldeten Personen zwischen dem 15. und dem 26. März – also binnen nicht einmal zwei Wochen – um rund 170.800 gestiegen war. Die meisten Betroffenen kommen aus Gastronomie bzw. Hotellerie und Bauwirtschaft. Ende Februar hatte die Gesamtzahl für Österreich rund 400.000 betragen.
Notfalls auf Hilfspaket „noch etwas drauflegen“
Viele zuletzt ausgesprochene Kündigungen würden nun erst mit 1. April oder 1. Mai schlagend. „Das werden sehr herausfordernde Tage“, so Katzian in der „Pressestunde“. Arbeitslose Menschen kämpften mit „großen Existenzängsten, da muss man was machen“.
Finanziert werden könnte sein Vorschlag aus den bisherigen Budgets. „Wenn es geht, nimmt man, was da ist. Wenn nicht, muss man noch etwas drauflegen“, sagte Katzian. Sollte das von der Regierung geschnürte, bis zu 38 Mrd. Euro schwere Hilfspaket für die Coronavirus-Krise nicht ausreichen, müsse man das Volumen eben erhöhen.
Kritik an Kündigungen
Katzian plädierte nochmals auch dafür, dass Unternehmen das neu geschaffene Kurzarbeitsmodell in Anspruch nehmen, anstatt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „rauszuschmeißen“, wie er sagte. In dem von den Sozialpartnern vereinbarten Modell müssten Erstere nur die Arbeitsleistung bezahlen, die tatsächlich geleistet werde, die anderen Lohnbestandteile übernimmt via AMS der Staat. Die Arbeitnehmer erhalten 80 bis 90 Prozent des letzten Lohns. Trotzdem hätten viele Unternehmen ihre Mitarbeiter gekündigt oder „gezwungen, dass sie einvernehmliche Lösungen unterschreiben“, kritisierte der ÖGB-Chef.
„Volle Unterstützung“ der SPÖ
Für Katzians Forderung nach einer höheren Arbeitslosenunterstützung versprach die SPÖ „volle Unterstützung“. Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner forderte angesichts „explodierender“ Arbeitslosenzahlen und einer weiteren drohenden Kündigungswelle Anfang April in einer Aussendung: „Wir dürfen nicht tatenlos zuschauen, wie die Arbeitslosigkeit im Land steigt und steigt und immer mehr Menschen in existenzbedrohende Situationen schlittern. Arbeitslose Menschen und ihre Familien brauchen jetzt eine bessere finanzielle Absicherung, weil es in Zeiten wie diesen sehr schwer ist, wieder Arbeit zu finden.“
Weiters bekräftigte Rendi-Wagner die Forderung ihrer Partei nach einem Krisenüberbrückungsfonds für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer Milliarde Euro, aus dem unter anderem nicht rückzahlbare Zuschüsse zu Mieten und Krediten finanziert werden könnten. Die Sozialdemokraten fordern außerdem eine Verlängerung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld während der Krise sowie einen leichteren Zugang zu Leistungen der Mindestsicherung. Geringfügig Beschäftigte und Arbeitnehmer, die beispielsweise wegen zu geringer Vordienstzeiten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben bzw. solche, die seit Anfang März gekündigt wurden, sollten eine temporäre Einkommensersatzleistung für drei Monate bekommen.
FPÖ will „Generalhaftung“ des Bundes
Zuspruch erhielt die Forderung des ÖGB auch von FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. „Auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes sollte umgehend durch die Bundesregierung und das AMS umgesetzt werden“, schrieb sie in einer Aussendung am Sonntag. Für die derzeit besonders geforderten Berufsgruppen im Pflege- und Gesundheitswesen, bei den Rettungsdiensten, im Handel, im Transport- und Logistikwesen oder in Polizei und Militär sollte es ein 15. Monatsgehalt steuerfrei und aus dem Budget finanziert geben, schlug Belakowitsch vor. Die FPÖ-Sozialsprecherin forderte außerdem eine Art „ökonomische Generalhaftung“ des Staates für Arbeitnehmer und Unternehmer als „großen Wurf“. Nur das verhindere permanente Verunsicherung.
Auch AK für höheres Arbeitslosengeld
Kurzarbeit sei aktuell „der beste Weg durch die Krise“, so die Präsidentin der Arbeiterkammer (AK), Renate Anderl. „Es gibt während dieser Zeit bis zu 90 Prozent des Einkommens. Die viel zu vielen Arbeitslosen müssen aber finanziell besser abgesichert werden – mit einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes.“ In der Krise werde deutlich, „was wir am Sozialstaat haben. Nach der Krise muss es darum gehen, ihn mit einer besseren Finanzierung abzusichern und auszubauen“.
Quelle https://orf.at/stories/3159843/