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AMS-Algorithmus Punktabzug für Frauen, Mütter und über 50-Jährige: So entscheidet der AMS-Computer über Arbeitslose

17. Oktober 2019

AMS-Algorithmus

Punktabzug für Frauen, Mütter und über 50-Jährige: So entscheidet der AMS-Computer über Arbeitslose

Ab 2020 entscheidet kein Mensch, sondern ein Computer darüber, wen das AMS fördern soll und wen nicht. Menschen werden vom AMS-Algorithmus in drei Kategorien eingeteilt – Arbeitslose über 50 oder Mütter bekommen Abzüge. Wer in der letzten Gruppe landet, wird aufgegeben und in separate Beratungszentren ausgelagert.

Die ehemalige Sozialministerin Hartinger-Klein ebnete noch den Weg für den AMS-Algorithmus: Damit werden AMS-Berater verstärkt zu Anhängseln von Computer-Entscheidungen. Denn ab 2020 entscheidet kein Mensch, sondern ein Algorithmus darüber, wer Betreuungszeit und Fördergeld beim AMS bekommt. Manche werden gefördert, andere aufgegeben. In Wien trifft das rund 40 Prozent der AMS-Kundinnen und -Kunden, fast die Hälfte von ihnen ist älter als 50 Jahre.

Weniger Punkte für Frauen, Behinderte und Menschen über 50

Um die Kategorisierung vorzunehmen, werden in den Algorithmus verschiedene persönliche Merkmale eingespeist – manche davon bringen Pluspunkte, andere Minuspunkte. So starten Arbeitssuchende über 50 gleich mal mit einem Minus von 0,7 Punkten wegen ihres Alters. Beeinträchtigte Menschen erhalten ein Minus von 0,67 Punkten. Frauen werden gleich doppelt benachteiligt: Sie erhalten zunächst aufgrund ihres Geschlechts einen Abzug von 0,14 Punkten. Außerdem werden für Betreuungspflichten 0,15 Punkte abgezogen – diesen Abzug sieht der AMS-Algorithmus nur für Mütter, nicht aber für Väter vor.

Screenshot des Papiers für den AMS-Algorithmus

Pluspunkte gibt es etwa für eine abgeschlossene Lehre (+0,27) oder eine Matura (+0,01).

Arbeitssuchende werden in drei Kategorien eingeteilt

Aus Unterlagen für den Verwaltungsrat des AMS geht hervor, dass Arbeitslose aufgrund ihrer Punkte eine von drei Kennzeichnungen bekommen. Diese stehen für drei „Segmente“:

Grün (hohe Arbeitsmarktchancen), gelb (mittlere Chancen) und rot (wenig Chancen). An einem durchschnittlichen Tag im Jahr 2017 wären ca. 120.000 der 340.000 Arbeitslosen dem niedrigsten Segment zugeordnet, 170.000 dem mittleren, und 50.000 dem höchsten.

Diese Kateogrien und der Algorithmus auf dem sie basieren, wird von zahlreichen Experten scharf kritisiert. Eine so weitreichende Entscheidung darf nicht einem Computer überlassen werden. Die IT-Experting Prof. Dr. Sarah Spiekermann-Hoff erklärt dies im ZIB 2 Interview:


Wer es besonders schwer hat, bekommt weniger

Jeder AMS-Berater wird ab 2019 diese Kategorisierung anwenden. Personen, die dem roten Segment zugeordnet werden, werden in billige Beratungseinrichtungen gesteckt. In Wien gibt es 13 davon, in anderen Bundesländern 17 – das AMS will die Zentren ausbauen. Die Arbeitslosen bekommen kein Geld für Kurse (Ausbildungen, Trainings, Deutschkurse, etc..), keine geförderte Beschäftigung im Rahmen von sozioökonomischen Betrieben und weniger Betreuungszeit durch AMS-Mitarbeiter.

Kurse und Beschäftigungsprojekte sollen Personen im mittleren Segment vorbehalten bleiben. Die Idee dahinter ist einfach: Unterstützung bekommen nicht die Arbeitslosen, die es am dringendsten brauchen, sondern jene, die die Erfolgsstatistiken der Regierung und des AMS aufpolieren.

AMS-Algorithmus teilt 50.000 Personen falsch ein

Wer in das mittlere und das niedrige Segment fällt – und damit entweder stark gefördert oder komplett ausgeschlossen wird – entscheidet ein statistisches Modell. Dieses arbeitet aber nicht fehlerfrei. Selbst bei günstigen Voraussetzungen teilt es circa 15-20% der Arbeitslosen (rund 50.000 Personen) falsch ein.

Wie IT-Experten erklären, sind solche Algorithmen hochproblematisch, weil sie Ungleichheiten am Arbeitsmarkt verstärken.

Denn anstatt einer Person, die benachteiligt ist – weil sie z.B. gesundheitliche Probleme hat, oder schlecht ausgebildet ist – mehr Mittel zukommen zu lassen, um diese Nachteile am Arbeitsmarkt auszugleichen, sagt das Computermodell, dass ihr weniger Mittel zustehen, weil sie geringe Chancen hat. Vorurteile (Sexismus, Altersdiskriminierung, Rassismus) und Nachteile am Arbeitsmarkt werden damit durch ein Computerprogramm sogar beim AMS einzementiert.

Hartinger-Klein erfüllte Wünsche der Wirtschaft

Schon 2016 wurde versucht, dieses System einzuführen.

Der vormalige Sozialminister Alois Stöger hat das damals verhindert. Ein so kompliziertes statistisches Modell, dessen Berechnungsvorgang weder die Ministerin noch der Vorstand verstehen und erklären können, sollte keine Entscheidungen über die Zukunft von hunderttausenden Menschen treffen.

Hartinger-Klein (FPÖ) übernahm dann dass Ministerium und nutze ihre kurze Amtszeit, um den Weg für den Algorithmus frei zu machen. Die Wirtschaftskammer freute sich – Martin Gleitsmann von der WKÖ, der selbst im Verwaltungsrat des AMS sitzt, meinte gegenüber dem Standard: Das höchste Ziel müsse sein, die AMS-Mittel „effizient einzusetzen“.

Die Vertreter der Beschäftigten sehen das neue System weniger positiv und stimmten im AMS-Verwaltungsrat nicht zu. Beschlossen hat ihn der Verwaltungsrat dennoch, weil die Arbeitnehmer dort keine Mehrheit haben.

Quelle https://kontrast.at/ams-algorithmus/

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