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Automatisierte Einteilung von Arbeitslosen manifestiert Ungleichheit

2 ,Sep. 2019

Automatisierte Einteilung von Arbeitslosen manifestiert Ungleichheit

arbeit plus, das Netzwerk Sozialer Unternehmen, fordert „Reset“ des AMS-Algorithmus

Vielmehr sollten im Rahmen differenzierter Modelle Gründe von Problemlagen erhoben und ihnen bedarfsorientiert begegnet werden, anstelle schlichtweg deren Folgen computerbasiert zu verwalten – und nur noch in jene Menschen zu „investieren“, bei denen es sich „lohnt“. Judith PühringerDas System ist in seiner jetzigen Form aus vielerlei Gründen problematisch. arbeit plus fordert die Verantwortlichen dazu auf, PAMAS zu überdenken und stattdessen einen transparenten Prozess aufzusetzen. Judith PühringerDie Einteilung in 3 Kategorien gemäß den vermeintlichen Chancen am Arbeitsmarkt ist für die vielschichtigen Lebenssituationen der Leistungsempfänger*innen zu kurz gegriffenJudith PühringerEin System, das traditionelle Rollenbilder in einem wertekonservativen Land wie Österreich fortschreibt, anstatt ihnen zu begegnen, sehe ich als Backlash. Vielmehr braucht es eine verbesserte Infrastruktur, gendergerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und neue Arbeitsmodelle, die es Frauen* erlauben, sich chancengleich am Arbeitsmarkt zu positionierenManuela VollmannWas es braucht, ist ein „Reset“ unter Einbindung von Expert*innen sowie Möglichkeiten innerhalb der Gruppen aufzusteigen, Modelle zur stufenweisen Reintegration in den Arbeitsmarkt und eine nachhaltige Vision zur Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik der ZukunftJudith Pühringer

Wien (OTS) – Seit Anfang des Jahres 2019 setzt das AMS ein neues System zur Einteilung arbeitssuchender Menschen ein: Das „Personalisierte AMS Arbeitsmarkt Chancen Modell“ (PAMAS), gemeinhin bekannt als „AMS-Algorithmus“, ist ein automatisiertes, datengestütztes System, das die (Wieder-)Beschäftigungschancen von Arbeitslosen berechnet. Ergebnis ist die Zuordnung in eine von drei Gruppen: hohe (H), mittlere (M) und niedrige (N) Chancen am Arbeitsmarkt. Noch befindet sich PAMAS in der Einführungsphase. Das System läuft aber bereits im Hintergrund mit und die Sozialen Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus spüren die Konsequenzen bereits jetzt in ihrer täglichen Arbeit.

arbeit plus hat aus diesem Anlass ein umfassendes Positionspapier zu Algorithmus und Segmentierung erstellt. Judith Pühringer, Geschäftsführerin von arbeit plus:Das System ist in seiner jetzigen Form aus vielerlei Gründen problematisch. arbeit plus fordert die Verantwortlichen dazu auf, PAMAS zu überdenken und stattdessen einen transparenten Prozess aufzusetzen.

Individuelle Zugänge anstelle von Kategorisierung

Die Einteilung arbeitssuchender Menschen in Form einer Segmentierung ist in jedem Fall problematisch. Die Einteilung in 3 Kategorien gemäß den vermeintlichen Chancen am Arbeitsmarkt ist für die vielschichtigen Lebenssituationen der Leistungsempfänger*innen zu kurz gegriffen, weiß Arbeitsmarktexpertin Judith Pühringer aus den Erfahrungen der Sozialen Unternehmen im Netzwerk von arbeit plus. Vielmehr sollten im Rahmen differenzierter Modelle Gründe von Problemlagen erhoben und ihnen bedarfsorientiert begegnet werden, anstelle schlichtweg deren Folgen computerbasiert zu verwalten – und nur noch in jene Menschen zu „investieren“, bei denen es sich „lohnt“.

Die verborgene Macht elektronischer Entscheidungshelfer

Algorithmen werden häufig als neutrale, dem Menschen überlegene Entscheidungstools verstanden. Doch das Gegenteil ist der Fall: sie bauen auf den Wertevorstellungen jener Menschen auf, die sie entwickeln und können lediglich auf Daten aus der Vergangenheit zurückgreifen. Damit bietet PAMAS keine innovativen und zukunftsorientierten Lösungen an, sondern schreibt im schlimmsten Fall bestehende Diskriminierung fort. So werden Frauen etwa vom Computerprogramm per se weniger Punkte als Männern zugerechnet. Müssen zudem Kinder betreut werden, gibt es weiteren Punkteabzug, was sich spürbar negativ auf die durch PAMAS berechnete Beschäftigungschancen aus. Besonders entlarvend für die dahinterliegenden Wertevorstellungen ist die Tatsache, dass bei Männern die Option „Betreuungspflichten“ nicht einmal als wählbares Kriterium auftaucht.

Ein System, das traditionelle Rollenbilder in einem wertekonservativen Land wie Österreich fortschreibt, anstatt ihnen zu begegnen, sehe ich als Backlash. Vielmehr braucht es eine verbesserte Infrastruktur, gendergerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und neue Arbeitsmodelle, die es Frauen* erlauben, sich chancengleich am Arbeitsmarkt zu positionieren, so Manuela Vollmann, Vorstandsvorsitzende von arbeit plus.

Die Berechnung der (Wieder-) Beschäftigungschancen durch PAMAS erfolgt also auf Basis persönlicher Merkmale, wie Alter, Bildung und Geschlecht, sowie der individuellen Erwerbsbiographie. Die Auswahl und Gewichtung dieser Merkmale ist nicht transparent – in die Gestaltung von PAMAS wurden keine Arbeitsmarktexpert*innen, keine Soziolog*innen, keine AMS-Mitarbeiter*innen, keine Betroffenen miteinbezogen. Selbst Wissenschaftler*innen geben an, das Modell ohne einen Probedatensatz nicht nachvollziehen zu können.

PAMAS neu überdenken

Der Verwaltungsrat hat die österreichweite Einführung von PAMAS mitsamt den budgetären Konsequenzen in seiner letzten Sitzung Ende Juni nicht beschlossen. Dadurch die einmalige Chance eröffnet, innezuhalten um zu evaluieren und PAMAS zu überdenken. In seiner aktuellen Form ist der AMS Algorithmus intransparent und diskriminierend. Was es braucht, ist ein „Reset“ unter Einbindung von Expert*innen sowie Möglichkeiten innerhalb der Gruppen aufzusteigen, Modelle zur stufenweisen Reintegration in den Arbeitsmarkt und eine nachhaltige Vision zur Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik der Zukunft, so Pühringer abschließend.

arbeit plus ist das österreichweite Netzwerk von 200 gemeinnützigen Sozialen Organisationen, die durch Beratung, Beschäftigung und Qualifizierung langzeitarbeitslose Menschen beim beruflichen Wiedereinstieg unterstützen.

Quelle https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190902_OTS0014/automatisierte-einteilung-von-arbeitslosen-manifestiert-ungleichheit

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