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Kommt das Coronavirus aus dem Labor?

2 Feb 2020 https://scilogs.spektrum.de/fischblog/coronavirus-labor/

Kommt das Coronavirus aus dem Labor?

Während der aktuellen Coronavirus-Epidemie ist ja die Theorie aufgetaucht, der neue Erreger hätte etwas mit dem neu eingerichteten Hochsicherheitslabor in Wuhan zu tun. Ich halte von der Geschichte nicht viel,[1] denn es gibt eine Reihe guter Argumente für einen natürlichen Ursprung des Erregers. So ganz abwegig ist die Vorstellung aber nicht, dass ein gefährliches Coronavirus aus einem Labor entkommt.

Zum einen ist das schon mal passiert, und zwar 2004 in Peking. Damals haben sich zwei Personen unabhängig voneinander in einem Labor mit dem SARS-Coronavirus infiziert und die Krankheit nach draußen getragen. Darauf basierte auch eine Warnung in einem Artikel von 2017, dass die größere Bedeutung von Hierarchie in China solche Labors möglicherweise besonders unsicher mache.[2]

Zum anderen ist es absolut möglich, einen Erreger im Labor gefährlicher zu machen. Das wird auch überall auf der Welt schon getan. Man bezeichnet diese Versuche als Gain-of-Function-Experimente, und untersucht damit zum Beispiel, was eine saisonale Grippe von der Vogelgrippe H5N1 unterscheidet, die mehr als die Hälfte aller Infizierten tötet, aber wenig ansteckend ist.

Viren ansteckender machen

Gain-of-Function-Experimente an potenziellen Pandemieviren sind sehr kontrovers. Nachdem 2011 zwei Arbeitsgruppen das H5N1-Virus gezielt viel ansteckender für Säugetiere gemacht hatten, wurde die Forschung dort ein paar Jahre lang gestoppt. Seit 2017 ist das Verbot mit einigen Einschränkungen aufgehoben.

Das Verfahren, einen gefährlichen Erreger deutlich ansteckender zu machen, ist erstaunlich simpel. Kaum ein Jahr, nachdem die Technik bei H5N1 vorgestellt wurde, hatte eine andere Arbeitsgruppe ein ähnliches Spiel mit dem H7N1-Vogelgrippevirus wiederholt.

Das erste Experiment einer Gruppe um Yoshihiro Kawaoka hatte zwei Stufen. In Schritt eins fügte die Arbeitsgruppe zufällige Mutationen in das Hämagglutinin-Protein des Virus ein, bis das Virenprotein an Moleküle in Säugetier-Atemwegen band statt in Vögeln. Dieses veränderte Protein baute die Gruppe in ein menschliches H1N1-Virus ein und infizierte Frettchen damit. Nach einigen Tagen hatten sich die Viren genug angepasst, um durch die Luft übertragen zu werden.

Eine zweite Gruppe aus den Niederlanden um Ron Fouchier ging ähnlich vor, nur dass sie die Mutationen gezielt einführten, und das auf Frettchen übertragene Virus war kein Hybrid, sondern das komplette H5N1. Die Versuche mit H7N1 ein Jahr später kamen ganz ohne genetische Veränderung aus Der Erreger wurde einfach so lange künstlich zwischen Frettchen übertragen, bis er gut genug angepasst war, um sich durch die Luft zu verbreiten.

Viren tödlicher machen

Derlei Spielchen kann man natürlich auch ohne Weiteres mit Coronaviren machen. In China muss man auch nicht mit Frettchen aufhören, sondern evolviert fröhlich in Affen weiter. Allerdings hat das Verfahren aus Biowaffen-Sicht den Nachteil, dass es nur das Ansteckungspotenzial erhöht. Viren werden dadurch nicht tödlicher, und es gibt Indizien dafür, dass sie dadurch sogar an Gefährlichkeit verlieren.[3]

Ein Virus gezielt gefährlicher zu machen, ist ein ganz anderes Paar Stiefel. Dafür kann man es nämlich nicht so einfach in Frettchen rumevolvieren lassen: Ansteckende Viren selektieren sich selbst, einfach dadurch, dass sie übertragen werden, tödliche nicht.

Auch die neuen Gentechnik-Werkzeuge wie CRISPR/Cas9 helfen nur bedingt.  Welche genetischen Eigenschaften nämlich bestimmte Viren so viel tödlicher machen als andere, ist noch größtenteils rätselhaft. Und damit gibt es auch keinen einfachen Weg, einen gewünschten Erreger ein maßgeschneidertes Killer-Upgrade mitzugeben.

Wobei, das ist nicht ganz richtig. Inzwischen weiß man für manche Virenfamilien immerhin, welche Gene ein harmloses Virus von einem tödlichen unterscheiden – selbst wenn man meist nur vage Vorstellungen davon hat, warum das so ist. Die besten Daten gibt es natürlich bei Influenza. Man kann zum Beispiel H5N1 in eine weit weniger gefährliche Variante verwandeln, indem man drei spezifische Gene austauscht. Und umgekehrt.

Der interessante Punkt ist natürlich, dass man dazu erst einmal ein Virus haben muss, das für Menschen sehr tödlich ist – und dann noch mit dem Erreger verwandt, den man upgraden will. Im Fall des Coronavirus wären das SARS und MERS. Aber erstens ist bei Coronaviren bisher nur sehr vage bekannt, welche Gene einVirus so gefährlich machen,[4] und zweitens würde eine entsprechende Manipulation nach etwa 30 Sekunden Datenbankrecherche auffallen. Das Genom von 2019-nCoV ist ja bekannt. Viele Arbeitsgruppen durchstöbern es auf mehr oder weniger qualifizierte Weise nach solchen Auffälligkeiten.

Spillover mit Ansage

Viren sind kompliziert und bis heute mysteriös – deswegen macht man solche Gain-of-function-Experimente. Dank der am Anfang beschriebenen Versuche an H5N1 zum Beispiel weiß man nun, dass das Virus sich an Menschen anpassen kann und dass dazu mehr nötig ist als eine bessere Bindung an menschliche Zellen. Temperatur spielt eine Rolle und daneben auch die molekulare Dynamik des Hämagglutinin-Moleküls.

Deswegen finde ich solche Versuche in einem gewissen Rahmen sinnvoll, auch wenn von den Experimenten eine Gefahr ausgeht. Man kann auch aus meiner Sicht nicht komplett ausschließen, dass das neue Coronavirus das Produkt einer gerichteten Evolution nach dem Muster der Frettchenketten von Fouchier und Kawaoka ist. Nur: Dieses Szenario ist weit hergeholt im Vergleich zu der Vermutung, dass der Erreger aus wilden Tieren kommt.

Die Coronavirus-Epidemie ist praktisch eine angekündigte Seuche. Allen war klar, dass es nicht bei SARS und MERS bleiben würde und dass früher oder später wieder so ein Fledermausvirus auftauchen würde. Tatsächlich gibt es Indizien dafür, dass ein sehr ähnlicher Erreger – oder mehrere – schon mal auf Menschen übergesprungen ist, sich aber nicht halten konnte: In einer Studie von 2018 fand eine chinesische Arbeitsgruppe Antikörper gegen SARS-ähnliche Viren bei sechs Personen in Südchina. Im Oktober 2019 haben internationale Organisationen das Szenario einer Coronavirus-Pandemie in einem großen Planspiel durchexerziert. Wir wussten, dass das Ding kommt. Jetzt ist es da.

Quelle https://scilogs.spektrum.de/fischblog/coronavirus-labor/

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