 
      Wieder Wirbel um die Arbeitsbedingungen beim Online-Handelsriesen Amazon. In den USA berichtet ein halbes Dutzend ehemalige Mitarbeiterinnen, dass sie ihre Jobs als Lagerarbeiterinnen verloren hätten, weil sie schwanger waren und die Produktivitätsvorgaben ihres Arbeitgebers nicht mehr erfüllen konnten. Sie sind gegen Amazon vor Gericht gezogen.
Beverly Rosales fand im Oktober heraus, dass sie schwanger war. Die werdende Mutter, die bei Amazon in einem kalifornischen Versandlager arbeitete, sah ein Problem auf sich zukommen und wandte sich an ihren Abteilungsleiter, berichtet „CNET“. Sie sagte ihm, sie sei schwanger und werde die streng rationierte WC-Pausenzeit – eine halbe Stunde pro 10-Stunden-Arbeitstag – im Amazon-Lager in den kommenden Monaten wohl ausweiten müssen.
Kritik durch Vorgesetzte, dann die Kündigung
Allzu  viel Verständnis wurde ihr laut eigener Aussage nicht entgegengebracht.  Ihre Vorgesetzten hätten sie in den Folgewochen auf ihre häufigeren  WC-Pausen angesprochen und ihr sinkendes Arbeitstempo kritisiert. Wenige  Wochen nachdem sie dem Abteilungsleiter die Schwangerschaft gemeldet  hatte, wurde Rosales gekündigt. Sie sieht eine Motivkündigung wegen  ihrer Schwangerschaft und hat den Fall im Jänner vor Gericht gebracht –  wie zuvor zumindest ein halbes Dutzend andere Frauen, die in den letzten  acht Jahren nach Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft gekündigt wurden. In  sechs Fällen gab es eine außergerichtliche Einigung, manche Betroffene  haben sich laufenden Sammelklagen ehemaliger Amazon-Mitarbeiter  angeschlossen.
„Kümmern sich mehr um Zahlen als um Mitarbeiter“
„Amazon  will unbedingt so viele Produkte raus schießen wie möglich. Die kümmern  sich mehr um die Zahlen als um ihre Mitarbeiter“, klagt Rosales an –  und verweist auf die strikte Pausenregelung. Sie selbst habe im  weitläufigen Amazon-Lager 30 Minuten WC-Pause pro Tag zugestanden  bekommen. Von ihrem Arbeitsplatz habe sie fünf Minuten zum und fünf  Minuten zurück vom WC gebraucht, das entspreche drei zehnminütigen  Pausen. Zu wenig für eine werdende Mutter – und selbst für Mitarbeiter,  die nicht in freudiger Erwartung sind, vielfach ein Grund, sich das  Austreten zu verkneifen, um im Amazon-internen Produktivitäts-Ranking  nicht nach unten zu rutschen und die Aufmerksamkeit der Abteilungsleiter  auf sich zu ziehen.
Amazon weist Vorwürfe der Motivkündigung zurück
 Amazon selbst will von Motivkündigungen schwangerer Mitarbeiterinnen 
nichts wissen. „Es ist absolut unwahr, dass Amazon jemand feuern würde, 
weil die Person schwanger ist. Wir sind ein Arbeitgeber mit 
Chancengleichheit. Wir arbeiten mit unseren Mitarbeitern daran, ihre 
medizinischen – auch schwangerschaftsbezogene – Bedürfnisse zu erfüllen 
und unterstützen neue Eltern, indem wir Karenzvorteile anbieten“, 
erklärt ein Amazon-Sprecher. Gerichtsunterlagen legen allerdings nahe, 
dass nicht jeder Amazon-Abteilungsleiter nach diesem Credo handelt. 
Ärztliche Schreiben, in denen schwangeren Mitarbeiterinnen empfohlen 
wurde, sich nicht anzustrengen, wurden offenbar immer wieder ignoriert. 
In einem Akt wird ein Abteilungsleiter zitiert, der einer Schwangeren 
erklärt haben soll, er würde auch gerne längere WC-Pausen einlegen.
Amazon-Mitarbeiter werden lückenlos überwacht
Die strikten Regeln beim Online-Riesen, der weltweit 600.000 Menschen beschäftigt, betreffen freilich nicht nur Schwangere. Erst kürzlich wurde bekannt, wie Amazons IT-Systeme die Produktivität der Mitarbeiter lückenlos überwachen und bei  zu viel „Time off Task“ – also Pausenzeit – oder zu geringem  Paket-Pensum automatisch zuerst Mahnungen und dann Kündigungen  verschicken. Rebecca Kolins Givan, eine Expertin der Rutgers School  of Management and Labor Relations, im Gespräch mit „CNET“: „Das System  ist so gestaltet, dass es nichts zulässt, das die Produktivität  schmälert – sei das eine Schwangerschaft oder irgendetwas anderes.“
Viele Konzerne wegen Motivkündigungen in der Kritik
 Kündigungen in der Schwangerschaft sind freilich kein 
Amazon-Spezifikum. Die US Equal Employment Opportunity Commission hat 
allein 2018 fast 2800 solche Fälle in großen US-Unternehmen – vom 
Mobilfunker AT&T bis zum Handelsriesen Walmart – registriert, im 
Schnitt der letzten zehn Jahre werden 3500 solche Fälle pro Jahr 
gemeldet.
Werden Managerinnen weniger schnell gekündigt?
  Rosales hilft das wenig: Sie hat seit ihrer Kündigung vor einem halben  Jahr keinen neuen Job mehr gefunden und wartet nun auf ihren  Gerichtstermin im Juni. Sie berichtet auch, dass es bei Amazon wohl  keine gängige Praxis sei, Schwangere zu kündigen. Sie habe viele  Kolleginnen gesehen, die nach ihrer Schwangerschaft problemlos wieder in  ihren Job zurückkommen konnten. Die seien aber keine Lagerarbeiterinnen  gewesen, sondern Managerinnen und Abteilungsleiterinnen.
Quelle https://www.krone.at/1917418