Warum das Waffengeschäft boomt und welche Rolle die Angst dabei spielt
Das Waffengeschäft boomt. Im Vorjahr ist die Zahl der in Österreich registrierten Schusswaffen über eine Million gestiegen. 1.023.037 Pistolen, Revolver, Büchsen und Flinten waren zum Stichtag 1. Jänner 2018 im Zentralen Waffenregister (ZWR) laut APA vermerkt. Diese verteilen sich auf 301.420 Besitzer. Warum legen sich immer mehr Österreicher eine Waffe zu? Bringt der Besitz einer Waffe tatsächlich die erhoffte Sicherheit? Und welche Rolle spielt die Angst dabei?
Im Jahresvergleich von Anfang Dezember 2016 bis Dezember 2017 gab es um 4,2 Prozent mehr registrierte Waffen. Die Zahl der Waffenbesitzer stieg ebenfalls um rund vier Prozent oder 11.436 Personen. Die meisten am 1. Jänner 2018 registrierten Waffen waren Büchsen. Darauf folgen Faustfeuerwaffen, halbautomatische Schusswaffen sowie Repetierflinten und Flinten, also Gewehre mit glatten Läufen.
Die Großzahl der Waffenbesitzer ist in Niederösterreich zu Hause. 78.405 Personen und 285.275 Waffen waren es zu Jahresbeginn. In Oberösterreich verteilen sich 177.689 Pistolen, Revolver, Gewehre und Co auf 51.771 Besitzer und in der Steiermark 159.597 Schusswaffen auf 49.722 Eigentümer.
Nicht jeder, der sich eine Waffe zulegt, tut dies aus Angst. Grundsätzlich gilt zwischen Jägern, Sportschützen und den sogenannten Selbstschützern zu unterscheiden, wie der Grazer Verhaltenstherapeut Dr. Alois Kogler erklärt. In die Gruppe der Selbstschützer fallen zum Beispiel Lkw-Fahrer, die einer realen Gefahr ausgesetzt sind, etwa wenn sie auf finsteren Parkplätzen übernachten. Von einem Angstkauf spricht man hingegen dann, wenn die Waffe dazu dienen soll, Heim und Familie vor Eindringlingen zu schützen. Auch wenn der Käufer versichert, seine Entscheidung basiere auf einer nüchternen Überlegung, so ist die Angst doch der treibende Motor für den Kauf.
Wovor fürchten wir uns?
Angst. Aber wovor genau? Und warum jetzt offenbar mehr als sonst? Dazu Kogler: “Angst hat viele Facetten. Da wäre zum Beispiel die Angst ganz allgemein vor Einbrechern.” Während wir unseren Blick auf derartige Delikte richten, vergessen wir aber, dass Österreich immer noch eines der sichersten Länder der Welt ist. Doch Angst, so der Experte, ist nun mal ein Gefühl und daher irrational. Mit Argumenten wie dem obigen kann man ihr folglich nur bedingt entgegenwirken. Zum anderen käme auch die Angst zum Tragen, dass unsere Kultur verfremdet wird und man uns unsere gewohnten Bräuche und Verhaltensweisen strittig macht.
Wenn die Verbrechensrate in Österreich auch sehr niedrig ist, leben wir doch in einer Gesellschaft, die viele Unsicherheiten mit sich bringt. Dazu der Kriminalsoziologe Dr. Reinhard Kreissl: “Traditionelle Orientierungspunkte, die uns Sicherheit geben, wie der Staat, die Familie oder die Religion, werden brüchig. Die Scheidungsrate steigt, die Arbeitsplätze sind nicht mehr sicher.” Mit anderen Worten: Die Zukunft wird immer unberechenbarer. Hinzu kommen eine gewisse Perspektivenlosigkeit, von der dem Wiener Soziologen vor allem junge weiße Männer betroffen sind, und die Angst der sogenannten Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg.
Die Suche nach dem Sündenbock
Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich tut Kreissl zufolge ihr Übriges: “Vor allem in den letzten zehn, 15 Jahren ist die soziale Ungleichheit rasant angestiegen. Das bedeutet, dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung nicht nur das Gefühl hat, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren, sondern dass es auch tatsächlich so ist.” Was darauf folgt, ist ein Gefühl der Ungerechtigkeit und die Suche nach einem Sündenbock. “Das können Ausländer sein ebenso wie Arbeitslose oder Banker.” Bezug nehmend auf die Flüchtlingssituation der letzten Jahre erklärt Kreissl: “Wenn dann noch eine Entwicklung wie diese hinzukommt, dann projiziert man die Ängste, die die ganze Zeit unter der Oberfläche brodeln, auf sie.”
Das ewige Streben nach Sicherheit
Nicht zuletzt sind es die Medien, die den Eindruck vermitteln, dass wir extrem gefährdet sind. Als stünde unsere Gesellschaft kurz vor dem Zusammenbruch. “Die Menschen wissen aber nicht, was eine echte Katastrophe, ein echter Zusammenbruch ist. Etwa so, wie es der zweite Weltkrieg war”, erklärt Kogler. “Wir haben kein Gespür mehr für schwierige Phasen in unserer Gesellschaft.” Gleichzeitig streben wir nach Sicherheit. Dazu der Grazer Psychologe: “Das Bedürfnis nach Sicherheit ist eines der tiefsten Motive der Menschheit, das mit der gesamten Evolution verknüpft ist.” Begonnen beim Tragen von Fellkleidung über den Einsatz von Waffen, die Entstehung von Städten bis hin zum Angebot von Versicherungen.
Wer sich also eine Waffe kauft, verspricht sich mehr Sicherheit. Doch kann der Besitz diese Erwartung tatsächlich erfüllen? Kreissl spricht in dem Zusammenhang von einer “Fantasie der Selbstverteidigung”: “Verunsicherung heißt, ich weiß nicht, was passiert. Das führt zu einer gewissen Angst. Man denkt sich, man muss ja was tun. Und bevor man nichts tut, kauft man sich eine Waffe.” Für den Moment gibt das ein gutes Gefühl. “Man könnte aber auch eine Waffenpille schlucken. Das hätte denselben Effekt. Das Ding zu verwenden ist aber wieder eine völlig andere Sache.”
Mehr Gefahr als Schutz
Denn einerseits müsse man die Waffe in einem versperrbaren Schrank aufbewahren, was die Griffbereitschaft im Notfall einschränkt. Anderseits ist eine Waffe im Haushalt oft mehr Risiko denn Schutz für die Bewohner. Kogler warnt vor der Gefahr, die “eine Waffe in den Händen von Leuten, die noch nie etwas mit Waffen zu tun hatten, die kein Gespür für sie haben”, mit sich bringt. “Eine Waffe hat ja eine ungeheure Wucht. Wenn man eine Pistole abfeuert, reißt das einem die Hand hoch. Das kann man gar nicht kontrollieren, wenn man nicht erfahren ist.” Regelmäßiges Training sei daher unumgänglich.
Abgesehen davon ist das mit dem Sicherheitsgefühl so eine Sache: “Wir bedenken nicht, dass alle unsere Handlungen auch wieder auf uns zurückwirken.” Sprich: Wer eine Waffe im Haushalt hat, signalisiert sich selbst, dass das Leben gefährlich ist. Wenn der Waffenbesitz nun zwar vordergründig ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, erhöht er doch langfristig die Angst. Nicht zuletzt senkt der Waffenbesitz Kreissl zufolge die Schwelle zum Gewaltgebrauch. So führt der Waffenboom letztlich genau zu dem, wovor wir uns eigentlich fürchten: mehr Gewalt, mehr Unsicherheit – und schließlich mehr Angst.
Quelle.https://www.news.at