April 2019
Ausprobiert
Kein Zwang mehr für Arbeitslose? AMS sieht Erfolge bei Pilotprojekt
Das Arbeitsmarktservice erprobt eine neue Form der Betreuung für Langzeitarbeitslose. Nun liegt die erste Evaluierung vor. Das Modell ist erfolgreich – weil es auf Freiwilligkeit setzt
Eines der Pilotprojekte in Graz. In Wien startet die neue Form der Betreuung im Juli.
Jobsuchende können, müssen das Kursangebot aber nicht nützen.
Kontrolltermine. Verpflichtende Bewerbungen. Ein Zwang zur Teilnahme an Weiterbildungskursen. Wer sich weigert, dem droht die Sperre des Arbeitslosengeldes oder der Mindestsicherung. Das sind die üblichen Spielregeln beim Arbeitsmarktservice (AMS) in Österreich.
Doch seit einiger Zeit testet das AMS ein neues Betreuungsformat für Langzeitarbeitslose, bei dem jeglicher Zwang abgeschafft ist. Eine Pflicht, sich zu bewerben oder irgendwelche AMS-Kurse zu absolvieren, gibt es da nicht mehr.
Die Angebote dienen zur sozialen Stabilisierung für Betroffene. Die Menschen sollen eine geordnete Tagesstruktur bekommen – die Vermittlung auf den Jobmarkt steht gar nicht im Fokus. Die neuen Einrichtungen gibt es bereits in sieben Bundesländern.
Positive Erkenntnisse
Nun liegt eine erste umfangreiche Evaluierung des Projektes vor. Sie fällt ausgesprochen positiv aus. Das neue System erscheint vielversprechend, und gerade die Freiwilligkeit dürfte einen wesentlichen Anteil daran haben. Die Einrichtungen, die im Auftrag des AMS neue Betreuungsformen anbieten, ähneln einander: So gibt es immer einen „offenen Raum“. Dorthin können Arbeitslose kommen, um zu plaudern und Kaffee zu trinken; in den Räumen werden Deutschkurse angeboten.
Daneben gibt es individuelle Beratung, etwa über die persönlichen Chancen am Jobmarkt. Hinzu kommen Angebote für gemeinsame Aktivitäten: So kann gemeinsam geturnt, gekocht und musiziert werden. Es gibt EDV-Kurse, Angebote für Nordic Walking und Qigong. Es wird gemeinsam gefrühstückt; wer will, kann kommen, um Wäsche zu waschen.
Das AMS weist den neuartigen Betreuungseinrichtungen Kunden zu. Die Betroffenen sind danach verpflichtet, an einer Informationsveranstaltung über die Angebote teilzunehmen. Ab da entfällt der ganze Zwang.
Gruppe mit vielen Problemen
Das AMS hat sich angesehen, was aus jenen 900 Personen geworden ist, die das Programm schon vor drei Monaten verlassen haben. Rund 307 von ihnen oder 34 Prozent haben einen Arbeitsplatz gefunden. Die übrigen sind weiter arbeitslos oder haben das Pensionsalter erreicht.
Dass 34 Prozent der Jobsuchenden eine Stelle fanden, gilt für Experten als Erfolg. Den Projekten wurden schwer vermittelbare Menschen zugewiesen. Sie alle waren mindestens zwei Jahre arbeitslos und mussten zwei der folgenden Kriterien erfüllen: Mindestalter von 45, maximal Pflichtschulabschluss und gesundheitliche Einschränkungen.
Parallel zur internen Auswertung hat das AMS die Beraterfirma Prospect das Konzept evaluieren lassen. Dazu wurden 300 Jobsuchende, AMS-Berater und -Geschäftsstellenleiter befragt.
Laut der Soziologin Friederike Weber von Prospect werden die neuen Einrichtungen von den Arbeitslosen positiver beurteilt als andere AMS-Angebote. 85 Prozent der Befragten zeigen sich sehr zufrieden mit dem Programm. Etwas mehr als ein Drittel kommt mehrmals im Monat in die Beratungsstellen. Die Hälfte erscheint einmal im Monat.
Die AMS-Leiter und die Betreuer in den Einrichtungen sagen, dass die Freiwilligkeit der Projekte extrem wichtig sei, weil damit „die Selbstständigkeit, Eigenmotivation und Selbstbestimmtheit der Zielgruppe gefördert wird“, heißt es in der Studie.
Neuausrichtung beim AMS
Das Programm ist Teil einer Neuausrichtung beim AMS. Arbeitslose werden in drei Kategorien eingeteilt, je nachdem ob sie gute, mittlere oder schlechte Jobperspektiven haben. Die Einteilung wird per Algorithmus durchgeführt. Für Menschen mit mittlerer Perspektive sollen alle Förderinstrumente wie bisher offenstehen.
Für Personen mit schlechten Aussichten gilt das nicht. Sie sollen vermehrt in den Einrichtungen auf freiwilliger Basis betreut werden. Eine Neuerung hat der Algorithmus schon gebracht. Den niedrigschwelligen Projekten werden nur Menschen zugewiesen, deren Perspektiven laut Algorithmus schlecht sind.
Der Idealfall: eine Win-win-Situation. Menschen, die das ohnehin überfordert, werden nicht mehr zwangsweise in teure Qualifizierungsprogramme gesteckt oder gezwungen, sich ständig zu bewerben, obwohl es sinnlos ist.
Das AMS könnte Geld sparen, weil die neuen Einrichtungen vergleichsweise günstig arbeiten und sich auf Jobsuchende mit mittlerer Perspektive konzentrieren. Aktuell können Menschen ein Jahr an den neuen Programmen teilnehmen – und anschließend um ein Jahr verlängern.
Weiterführende Angebote
Viele Fragen sind noch offen. Funktionieren die neuen Einrichtungen etwa auch dann so gut, wenn sie flächendeckend angeboten werden? Zu berücksichtigen gilt es natürlich, dass die Konjunktur im vergangenen Jahr stark angezogen hat. Die Rahmenbedingungen waren also perfekt. Schließlich: Wird die Freiwilligkeit als Modell bestehen bleiben, wenn eine öffentliche Debatte dazu in Gang kommt? Kein Druck auf Arbeitslose: Geht das?
Judith Pühringer, Chefin von Arbeit plus, einem Netzwerk von gemeinnützigen Unternehmen, kann dem Modell viel abgewinnen. Aber: Wichtig wäre aus ihrer Sicht, dass Menschen nicht dauerhaft in den neuartigen Betreuungseinrichtungen bleiben, sondern es anschließende und weiterführende Angebote zur Arbeitsmarktintegration gibt.
Bisher wurden und werden etwas mehr als 2600 Menschen in den neuen, auf Freiwilligkeit beruhenden Einrichtungen betreut. In Wien übrigens hat es (wie in Kärnten) bisher keine Tests mit dem neuen Modell gegeben. Das soll sich bald ändern. Ab Juli starten in der Hauptstadt erste Angebote. Österreichweit geht der Aufbau der Kapazitäten weiter. (András Szigetvari, 13.4.2019